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Interview und Artikel 20min
Philipp Flück (20min) im Interview mit Regierungsrat Christian Amsler (FDP, Schaffhausen), Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz
In Deutschland unterrichtet man während den ersten Schuljahren zunehmend nach dem Modell «Schreib wie du sprichst.» Unserer Recherchen haben ergeben, dass auch in der Schweiz viele Schulen nach diesem Modell unterrichten. Können Sie uns dies bestätigen?
Das ist auch in der Schweiz verbreitet. Es gibt auch in der Schweiz sehr beliebte Lernmethode, die auf das Prinzip Schreiben durch Sprechen fundieren. Ich würde dies den Fachleuten überlassen, die wissen schon, was sie tun. Denn schliesslich wurden diese Methoden von Lehrern und Sprachwissenschafter gemeinsam entwickelt. Es ist mir bekannt, dass es auch starke Opposition gegen diese Art des Schreibenlernens gibt. Die Meinung ist, dass man sich so falsche Automatismen resp. Fehler in der Rechtschreibung antrainiert. Ich habe kürzlich bei einem Schulbesuch diese Methode mit Lautkarten in der Anwendung erlebt und war aber sehr beeindruckt. Sehr effektiv!
Viele Maturanden haben, Laut Uni-Professor Rainer J. Schweizer, immer noch Mühe mit der Rechtschreibung. Kann dies einen Zusammenhang zum «Schreib wie du sprichst» haben, Ihrer Meinung nach?
Es gibt ganz verschiedene Methoden, wie Rechtschreibung, resp. der Sprach- und Schrifterwerb geschieht. Das kann ganz sicher nicht auf eine Methode allein abgewälzt werden.
Wird in Schweizer Schulen zu wenig Wert auf Rechtschreibung gelegt?
Nein, ganz klar nicht! Die Lehrerinnen und Lehrer legen grossen Wert darauf. Dies ist ein Märchen, weil immer mit der alten Schule verglichen wird, wo noch viel mehr Wert auf ganz genaue Grammatik und schöne Schrift gelegt wurde. Heute sind die Lernmethoden anders und keinesfalls schlechter!
Ich finde es gut, dass nicht einfach nur pausenlos Diktate gepaukt werden und die Texte der Schülerinnen und Schüler mit Rotstift zugedeckt werden. Das kann einem Kind mit Rechtschreibeprobleme total ablöschen. Unsere Lehrer arbeiten förder- und nicht defizitorientiert, und das ist gut so!
Was können Sie sich für Massnahmen vorstellen, um das Problem der dürftigen Rechtschreibung zu beseitigen? Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt Handlungsbedarf diesbezüglich?
Das wissen die Lehrer am besten! Bsp. sind Schreibanlässe, definierter Kennwortschatz, Briefaustausche, Lesen, Lesen, Lesen und Lernkartei mit Stammwörtern etc.
(20min) Maturanden haben zunehmend Mühe mit der Rechtschreibung. Ist die lasche Rechtschreibekontrolle an den Primarschulen daran schuld?
Falsch geschriebene Wörter, abgehackte Sätze, willkürlicher Gebrauch der vier Fälle und rein zufällig gesetzte Kommas: Prüfungsexperten bestätigen gegenüber der NZZ, dass es Maturanden gibt, die kaum einen einzigen deutschen Satz korrekt schreiben können. Fehler in der Rechtschreibung seien bei fast allen nicht die Ausnahme sondern die Regel.
Auch HSG-Professor Rainer J. Schweizer, bestätigt: «Es ist tatsächlich so, dass Studenten zunehmend Mühe mit der Rechtschreibung haben.» Die «NZZ» nennt dazu einige Beispiele, die direkt von Maturitätsprüfungs-Experten kommen: So scheinen «gleich falls« statt «gleichfalls« und «schohn» statt «schon» gängige Fehler von Maturanden zu sein.
Doch was sind die Gründe für die die mangelnde Rechtschreibekompetenz der Schüler?
Lasche Rechtschreibekontrolle
Professor Schweizer glaubt, dass die steigende Zahl elektronischer Kommunikationsmittel an der Entwicklung schuld ist: «Auf Facebook oder WhatsApp ist nur eine reduzierte Kommunikation erforderlich, man benutzt oft Abkürzungen wie zum Beispiel «LG» statt «Liebe Grüsse».» Diese Kommunikationsweisen stelle einen grossen Teil der heutigen Kommunikation dar, deshalb entwickle sich die Sprache vieler Jugendlichen nur in beschränktem Masse. Auch bemerke er eine wachsende Lesefaulheit fest: «Heutige Studenten lesen und schreiben grundsätzlich zu wenig.»
Eine weitere Ursache sieht SVP-Nationalrat und ehemaliger Lehrer Oskar Freysinger in der laschen Kontrolle der Rechtschreibung an Primarschulen. An vielen Schulen dürfen Kinder nämlich so schreiben wie sie sprechen. So sollen sie Freude am Schreiben entwickeln. Das aber sei fatal, findet Freysinger: «Gerade während den ersten Schuljahren haben Kinder ein unglaubliches fotographisches Gedächtnis, deshalb darf man sie nicht an falsche Schreibweisen gewöhnen.» Solche Fehler seien später nur sehr schwer zu beheben. Die Verarmung der Sprache schreite ohnehin schon sehr schnell voran: «Schon bald wird die Deutsche Sprache in eine Willkürlichkeit, wie sie noch vor der Barockzeit herrschte, zurückfallen.» Deshalb müsse man in der Schule unbedingt von Anfang an auf die korrekte Orthographie achten.
Mehr Fehler, dafür «inhaltlich stark»
Der Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz, Christian Amsler bestätigt, dass in den ersten Schuljahren in vielen Schulen mehr auf den Inhalt, als auf die Form geschaut werde: «Viele Lehrer in der Schweiz unterrichten nach dem Prinzip des «Schreibe wie du sprichst», eine Methode die von Sprachwissenschaftlern und Lehrern entwickelt wurde.» Probleme berge diese Methode keine. Im Gegenteil: Es sei gut, dass man die Texte der Kinder nicht mit dem Rotstift zudecke. Er selbst hält die Methode für sehr effektiv: «Ich habe kürzlich bei einem Schulbesuch die Anwendung dieser Methode beobachtet und war positiv beeindruckt davon.»
Auch SP-Bildungspolitiker Matthias Aebischer ist von der «Schreibe wie du sprichst»-Methode überzeugt: «Wenn man Kinder ständig korrigiert, nimmt man ihnen die Freude am Schreiben.» Er merke es bei seiner kleinen Tochter auch: «Wenn ich mir manchmal das Korrigieren nicht verkneifen kann, sehe ich sofort, dass es sie stört.» Natürlich müsse man einmal aufhören, jeden Rechtschreibefehler durchzulassen, doch dies müsse nicht gerade in der ersten oder zweiten Klasse geschehen.
Wenn er als Lehrer mit Gymnasiasten zu tun habe merke er manchmal auch, dass diese tendenziell mehr Fehler machen würden, als früher. «Dafür sind sie inhaltlich klar stärker geworden.»
Christ Dürscheid, Germanistik Professorin der Universität Zürich setzt sich für die Rechtschreibung ein, da diese eine Art «Visitenkarte» darstelle und man bei offiziellen Texten unbedingt auf die korrekte Schreibweise schauen müsse. Doch noch wichtiger, als die Rechtschreibung, sei die Lust am Schreiben. Deshalb plädiert auch sie für einen moderaten Einsatz des Korrekturstifts: «Elementare Regeln sollten von Kindern schon früh erlernt werden, aber es muss nicht gleich jede Kleinigkeit angestrichen werden.»