Aktuelles / Notizen

05.06.2014

Hallen für Neue Kunst schliessen die Tore


30 Jahre eindrückliche Neue Kunst in Schaffhausen

Medienmitteilung der Rausmüller Collection

Hallen für Neue Kunst: Zukunft in Basel

Urs und Christel Raussmüller, die Urheber und Betreiber der Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen, verlegen nach über 30 Jahren engagierter Kulturarbeit ihre Aktivitäten an den Standort der Raussmüller Collection in Basel. Als Privatpersonen haben Urs und Christel Raussmüller seit Beginn der 1980er Jahre unter Einsatz ihrer Kunstkenntnis, Kunstwerke und persönlichen Finanzmittel mit ihrer Institution architektonisch wie inhaltlich internationale Massstäbe gesetzt. Die Transformation eines Fabrikgebäudes und der Fokus auf wegweisende Künstler und Werke der Kunst nach 1965 machten die Hallen für Neue Kunst zum Modell eines neuen Typs von Museum und zum Vorbild prominenter Nachfolger wie The Andy Warhol Museum in Pittsburgh oder Dia:Beacon im Staat New York. Urs und Christel Raussmüller haben seit der „Hallen“-Eröffnung 1984 mit innovativen Vermittlungskonzepten Impulse für eine vertiefte Kunsterfahrung gegeben und einen kulturellen Leuchtturm von weltweiter Ausstrahlung geschaffen. Nach Rücksprache mit Stadt und Kanton stellen sie nun den Betrieb in Schaffhausen nach 30 Jahren ein. In Zukunft wird die Raussmüller Organisation die Hallen für Neue Kunst in Basel in veränderter Form mit neuen Perspektiven zur Geltung bringen.

Bereits seit einiger Zeit stellten sich Urs und Christel Raussmüller sowie Stadt und Kanton Schaffhausen Fragen nach der Zukunftssicherung des renommierten Kunstorts. Dabei zeigte sich, dass die alte Schaffhauser Textilfabrik ohne grössere Investitionen den klimatischen Anforderungen einiger der langfristig ausgestellten Kunstwerke nicht auf Dauer gewachsen ist. Zudem hätte die längerfristige Sicherung der Betriebsfinanzierung einen finanziellen Kraftakt für alle Beteiligten erfordert. Spätestens nach Urs und Christel Raussmüller würden sich mit dem Wegfall ihrer mäzenatischen Leistungen die jährlichen Betriebskosten stark erhöhen. Im Weiteren erschweren ungelöste Rechts- und Haftungsfragen die Zukunftsplanung der Hallen für Neue Kunst am jetzigen Standort. Mit dem Umzug nach Basel soll nun ein tragfähiges Fundament für eine gesicherte Zukunft geschaffen werden – für die Kunst wie für die Raussmüller Organisation und ihre Leistungen.

Unmittelbare Auslöser für die Verlagerung sind ein Urteil des Schaffhauser Obergerichts in einem Prozess auf Herausgabe des Beuys-Werks „Das Kapital Raum 1970–1977“ und dessen Folgen. Bekanntlich ist die Entstehung der monumentalen Raumskulptur 1984 in Schaffhausen der künstlerischen Zusammenarbeit von Joseph Beuys und Urs Raussmüller zu verdanken, der zu diesem Zweck nicht nur einen adäquaten Raum, sondern mit den Hallen für Neue Kunst eine ganze Institution schuf. Nachdem das Gericht nun das Eigentum am Beuys-Werk ohne Anhörung der an der Werkentstehung Beteiligten drei Personen ohne Kaufbeleg zugesprochen hat, sehen Urs und Christel Raussmüller die Grundlagen für weitere freiwillige Leistungen in Frage gestellt. „Das Kapital Raum 1970-1977“, eines der letzten eigenhändig von Beuys errichteten Werke, ist nicht von ihrem Umzug betroffen.

Raussmüllers danken allen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten ihre Kulturarbeit in Schaffhausen unterstützt haben: ihren Mitarbeitern und Freunden, den Gönnern, Förderern und treuen Besuchern der Hallen für Neue Kunst, der Stadt, die ihnen und ihrer Vision 1982 die ausgediente Fabrik überliess, und dem Kanton, der ihre Aktivitäten für die Öffentlichkeit seit 2006 im Rahmen einer Leistungsvereinbarung gefördert hat (seit 2008 mit jährlich 400’000 Franken). Vor allem danken sie den Künstlern, die sie von Anfang an in ihre Konzepte einbezogen und deren Werken sie seit 1984 eine Heimat gegeben haben.

Hallen für Neue Kunst

Anfang der 1980er Jahre haben Urs und Christel Raussmüller mit den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen das Modell eines neuen Typs von Museum geschaffen. Die „Hallen“ sind die erste konsequente Transformation eines Industriegebäudes in eine Ausstellungsinstitution für Kunst. Die Konzentration auf die Wegbereiter der Neuen Kunst wie die Präsentation ihrer bedeutenden Werke haben neue, international beachtete Standards gesetzt. Die Hallen für Neue Kunst sind als „Modell Schaffhausen“ in die Museumsgeschichte eingegangen und wurden als Werk des Künstlers Urs Raussmüller selbst zu einem künstlerischen Manifest. Sie etablierten sich als Massstab für die Qualität der wegweisenden Kunstentwicklung in der westlichen Welt um 1970 und fanden – auch als effiziente und kostengünstige Alternative zu den aufwändigen Architekten-Museen – weltweite Nachahmung.

Raussmüller Collection

Die Raussmüller Collection umfasst Hauptwerke der europäischen und amerikanischen Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Anfänge der Raussmüller Collection reichen in die 1970er Jahre zurück. Der Schwerpunkt liegt auf raumbezogenen Werken von Künstlern, die die Konzeption und Erscheinung von Kunst um 1970 nachhaltig verändert haben. Zur Raussmüller Collection gehören Schlüsselwerke der amerikanischen Minimal Art, Werkgruppen der Neuen Malerei, architektonische Skulpturen und Hauptwerke der sogenannten Arte Povera. Unter dem Namen Raussmüller Collection werden auch Publikationen herausgegeben und Vermittlungsprogramme durchgeführt.

Raussmüller Organisation

Die Raussmüller Organisation bildet den betrieblichen Rahmen für Aktivitäten in den Bereichen Kunstvermittlung, -wissenschaft und -technik. Die Raussmüller Organisation ist langfristig über das Leben von Urs und Christel Raussmüller hinaus angelegt. Weitere Informationen finden sich unter: www.raussmueller.org

Urs Raussmüller

ist Künstler und fiel in den 1970er Jahren durch grossformatige räumliche Werke in Zürich auf. Seine Entwicklung vollzog sich von Malerei und Skulpturen zu Installationen (mit Ausstellungen im In- und Ausland), über den Aufbau von Kunstsammlungen (darunter die Sammlung des Migros-Genossenschafts-Bundes sowie die Sammlung Crex, die auch seine privaten Erwerbungen einschloss) bis zur Schaffung ganzer Institutionen. Raussmüller führte schon früh internationale Ausstellungen zeitgenössischer Kunst durch (im Jahr 1981 z.B.: „Robert Ryman“ im Musée national d’ art moderne, Centre G. Pompidou, Paris und in der Kunsthalle Düsseldorf; „Minimal Art“ in Madrid und Barcelona) und errichtete und betrieb wegweisende Kunstorte (1978 InK, Halle für internationale neue Kunst, Zürich; 1982/84 Hallen für Neue Kunst, Schaffhausen; 1991 Renn Espace, Paris; 1995 Casino Luxembourg, Centre d’art contemporain, Luxemburg; aktuell: Raussmüller Basel).

Christel Raussmüller Sauer

ist Kunsthistorikerin mit frühem Bezug zur zeitgenössischen Kunst und Galerie-Erfahrung, kennt Künstler wie Joseph Beuys usw. seit ihrer Schulzeit in Düsseldorf, arbeitet seit 1977 mit Urs Raussmüller zusammen und ist seither an seinen Konzepten und institutionellen Realisationen beteiligt. Sie hat grundlegende Publikationen zu Künstlern und Werken der Neuen Kunst verfasst und innovative Impulse in die Kunstvermittlung eingebracht.

Medienmitteilung von Stadt und Kanton Schaffhausen 

Kanton und Stadt bedauern Schliessung der Hallen für Neue Kunst 

Eine Weiterführung der Hallen für Neue Kunst in der alten Kammgarnfabrik ist nicht mehr möglich. Zu diesem Ergebnis haben intensive Gespräche zwischen Kanton, Stadt sowie den Initianten und Betreibern der Hallen geführt. Der Regierungsrat und der Stadtrat Schaffhausen bedauern die Schliessung der Hallen für Neue Kunst ausserordentlich, sind aber auch dankbar für die wertvollen Impulse, die die Institution in den vergangenen 30 Jahren vermittelt hat. 

Die Stadt und der Kanton Schaffhausen haben mit den Initianten und Betreibern der Hallen für Neue Kunst, Urs und Christel Raussmüller, in den letzten Wochen intensive Gespräche über die Zukunft der renommierten, privaten Institution am Rheinufer geführt. Dabei wurden nicht kurzfristige Massnahmen zur Wiedereröffnung diskutiert, sondern verschiedene Szenarien zur langfristigen Sicherung ausgelotet. Ausgangspunkt waren einerseits der Prozessausgang um das 'Kapital' von Joseph Beuys, andererseits die notwendigen Massnahmen zum Schutz der Kunstwerke und ein zukunftsfähiges Betriebskonzept mit den finanziellen, konservatorischen, versicherungstechnischen und juristischen Herausforderungen. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass eine langfristige Sicherung der Institution einmalige Investitionen in Millionenhöhe zur Erreichung des notwendigen Museumsstandards, eine Erhöhung des jährlichen Betriebsbudgets um über 1 Mio. Franken sowie juristische Sicherheiten in Form von langfristigen Verträgen zwischen Betreibergesellschaft und öffentlicher Hand nötig machen würde. Ein solcher Rahmen wäre auch bei markanten Drittbeiträgen zweifellos nur über eine Volksabstimmung zu realisieren. Die Zeit für die Umsetzung dieser Massnahmen würde mindestens zwei Jahre betragen und sie wäre aufgrund des kritischen Umfelds mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet. Dieses Risiko wollen die Urheber und Betreiber Urs und Christel Raussmüller aus zeitlichen und inhaltlichen Gründen nicht eingehen. Aus diesem Grund wird der Vertrag der Stadt Schaffhausen mit der Raussmüller Collection als Nutzungsberechtigte der Räumlichkeiten per Ende 2014 in gegenseitigem Einvernehmen vorzeitig aufgelöst. Der Abbau der Werke und die Rückführung der Leihgaben liegt in der Verantwortung der Betreiber und dauert voraussichtlich bis Ende Jahr. Mit den Eigentümern des 'Kapitals' von Joseph Beuys wird eine separate Einigung angestrebt. 

Mit der Einstellung des Betriebs der Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen schliesst sich ein Kreis, der vor 30 Jahren als mutiges, privates Experiment in Schaffhausen begann und Impulse in die ganze Welt aussandte. Eine einmalige private Sammlung von Weltformat in einer Gebäudehülle, die die Stadt Schaffhausen zur Verfügung stellte und an deren Museumsbetrieb sich auch der Kanton Schaffhausen mit jährlichen Betriebsbeiträgen beteiligte. Als Kunstort angelegt, vermochten die Hallen aber weit mehr, als ihre Betrachter in den Bann zu ziehen, denn die ausgestellten, exemplarischen Werke der 'Neuen Kunst' machten den Besuchenden gleichzeitig zu einem Teil ihrer Botschaft. Unzählige Menschen haben in den letzten drei Jahrzehnten die Gelegenheit wahrgenommen, ihre Gedanken und ihre eigenen kreativen Möglichkeiten in den Hallen für Neue Kunst zu schärfen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene erkundeten das besondere Haus ebenso, wie ganze Gruppen aus Wirtschaft, Politik und Kultur sich an diesem Ort in Kreativworkshops begegneten und austauschten. 30 Jahre Hallen für Neue Kunst werden deshalb als schöpferischer Prozess mit Ausgangslage Schaffhausen in die Geschichte eingehen. Die Stadt und der Kanton Schaffhausen danken den Initianten Urs und Christel Raussmüller für den visionären Aufbau und die leidenschaftliche und engagierte Leitung und Begleitung ihrer Institution, die Schaffhausen und der ganzen Schweiz während 30 Jahren zu einer grossen, internationalen Ausstrahlung verhalf. In diesen Dank schliessen wir auch die Kunstschaffenden sowie die Mitglieder des Gönnervereins Neue Kunst und die unterstützenden Firmen mit ein, die während vielen Jahren mit ideellen und finanziellen Beiträgen zum Gelingen beigetragen haben. 

Schaffhausen, 6. Juni 2014                          Staatskanzlei  und Stadtkanzlei Schaffhausen