Aktuelles / Notizen

18.10.2013

Kritischer Artikel zu Facebook


NZZ, 18.10.2013

Warum Facebook unglücklich macht

Die Bilder und die Leere 

Feuilleton NZZ vom 18.10.2013 

Endlose rezeptive Gier, Einsamkeit und Depression: Wir vergleichen bei Facebook unser kleines Leben zwanghaft mit dem grossen der anderen und verwechseln digitale Scheinwelten mit der Realität. Es wird Zeit, gegenüber den Formen visueller Lüge in sozialen Netzwerken eine kritische Haltung zu propagieren. 

Tomasz Kurianowicz

Der News-Feed bei Facebook erinnert an ein rasendes Karussell in Endlosschleife: Wer mehr als 200 Freunde hat, wird permanent mit wichtigen Ereignissen, Nachrichten, Lebensabrissen und Sensationen konfrontiert, die sich einem übergeordneten Sinn entziehen. Es ist ein rastloses, schizophrenes System, das dort herrscht: Man ist Beobachter und Autor zugleich und wird aufgefordert, sich einzuschalten, mitzureden, den Daumen nach oben oder nach unten zu bewegen, Relevanz zu erzeugen und seine Fühler in alle Richtungen gleichzeitig auszustrecken. Omnipräsenz und Multitasking sind die Imperative dieses Systems. Die Kehrseite äussert sich im Gefühl der Überforderung. Denn nicht jede Information ist es wert, wahrgenommen zu werden.

Man kann es auch etwas schärfer formulieren, etwa mit einem Urteil des Filmregisseurs Jean-Luc Godard: Wir werden täglich mit Unmengen an «visuellem Abfall» konfrontiert, der uns die Fähigkeit raubt, Bilder in ihrer Manipulationskraft kritisch zu deuten. Auf Facebook wird ein Inszenierungsspiel betrieben, das viel zu häufig mit der Realität verwechselt wird. Die Folgen sind frappierend. Anstatt sich vernetzt zu fühlen, verlieren wir uns in einem Strom aus Scheinwelten, die in ihrer Suggestivkraft im Sekundentakt neue Bedürfnisse hervorrufen: das Bedürfnis, auf einen Link zu klicken; das Bedürfnis, ein Produkt zu kaufen; das Bedürfnis, mit einem Bekannten Kontakt aufzunehmen; das Bedürfnis, so zu leben wie die anderen. Die Spirale führt, anstatt ein Gefühl der Sättigung hervorzurufen, in endlose rezeptive Gier.

Sich von aussen betäuben lassen

Eine der grössten Herausforderungen der Moderne ist die Entwicklung einer kritischen Haltung dagegen. Ob nun in Sydney oder Berlin, New York oder Schanghai: Die Allgegenwart von Informationen und deren Erreichbarkeit kreiert das unstillbare Bedürfnis, sich von aussen betäuben zu lassen. Die Folgen für innere Konzentration und intellektuelle Ausdauer sind längst beschrieben. Nicht so sehr die Konsequenzen für den Gesundheitszustand der Seele. Das haben unlängst Psychologen der University of Michigan in Ann Arbor mit einem Experiment zu zeigen versucht. Sie sind an junge Facebook-Nutzer mit einer banalen und dennoch wichtigen Frage herangetreten: Machen soziale Medien glücklicher?

Die Antwort lautet: nein. Die Wissenschafter haben 28 Studierende herausgepickt und ihnen innerhalb von zwei Wochen jeden Tag fünf Nachrichten geschickt – mit Fragen zu ihrem subjektiven Befinden, dem Nutzen ihrer Facebook-Seite, wie oft sie seit der letzten Nachricht in direktem Kontakt mit anderen Menschen standen und wie einsam sie sich fühlten. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Die Wissenschafter haben feststellen können, dass die Nutzer, die zwischen den Befragungsperioden auf Facebook surften, sich unglücklicher fühlten als vor dem Besuch der Plattform. In der zweiwöchigen Befragungszeit liess sich ein Zusammenhang zwischen dem Facebook-Verhalten und dem Zuwachs von Angst- und Einsamkeitsgefühlen feststellen. Kurz: Die Verwendung von Facebook hat die Interview-Teilnehmer grösstenteils nicht glücklicher, sondern unglücklicher gemacht.

Wie ist das zu erklären? Wissenschafter um die Informationexpertin Hanna Krasnova von der Humboldt-Universität zu Berlin haben in einer kürzlich veröffentlichten Studie dargelegt, dass Facebook gefährlich sei, weil es einen «Vergleichsdruck» hervorrufe, dem viele Nutzer nicht standhalten könnten. Facebook-Nutzer würden sich ständig mit inszenierten Fotos und Texten konfrontieren, die den Eindruck erweckten, als ob alle anderen ein glücklicheres, erfolgreicheres und erfüllteres Leben führten als man selbst. Dies münde in Eifersuchts- und Minderwertigkeitsgefühle. Von diesen Zuständen seien besonders jene Personen betroffen, so die Studienmacher, die Facebook passiv nutzten und aktiv das Übermitteln von öffentlichen Nachrichten vermieden. Kurz gesagt: Wer sich digital schüchtern verhält, wird häufiger zum Opfer einer Facebook-Depression.

Trotzdem heisst das nicht, dass diese negativen Gefühle zu einem Facebook-Verzicht führten. Ganz im Gegenteil: Vielmehr sei ein Zirkel aus Verabscheuung und Faszination zu beobachten, der sich mit dem Verhalten eines Drogensüchtigen vergleichen lasse. Die «New York Times» hat diesen Teufelskreis als «Facebook-Hassliebe» bezeichnet. Die Dialektik sollte jedem Nutzer bekannt sein: Man möchte einerseits das obsessive Ausspionieren von Bildern und Nachrichten unterlassen, aber andererseits ist man vom Leben der anderen wie hypnotisiert.

Dabei vergessen die meisten Nutzer bei der Flut an Bildern und Nachrichten, dass die Facebook-Welten lediglich Spiegelungen geschickter Inszenierungen sind. Ein Partybild wird, bevor es entsteht, schon mit der Intention für das Einstellen bei Facebook arrangiert. Die meisten Bilder und Statusanzeigen verbergen die Ambivalenz der Realität, den Entstehungskontext der Szene, die Künstlichkeit der Aufnahme und damit den wahren, pejorativen Gehalt der Nachricht. Wer Facebook-Posts für bare Münze nimmt, läuft Gefahr, die digitale Realität mit der analogen zu verwechseln. Und genau das ist es, was Facebook will. Nur wer sich eingeschüchtert fühlt und Praktiken des Exhibitionismus imitiert, wird zum gläsernen und damit zum werberelevanten Bürger.

Inszenierung statt Sein

Das Problem nimmt seit der Omnipräsenz von Smartphones zu: Sie treiben die digitale Abhängigkeit ins Gigantische. Der Vergleichsdruck ist allgegenwärtig, die Fotokamera immer dabei. Programme wie Instagram, die diese Inszenierungsbedürfnisse bedienen, sind ein Ausdruck jenes Trends. Aber was steckt wirklich hinter dem Text- und Bilderwahn? Keiner hat es jüngst so treffend ausgedrückt wie der amerikanische Komiker Louis C. K.! Bei einem Besuch des Nate-Light-Manns Conan O. Brien hat er verraten, warum er sich weigert, seinen beiden Kindern Smartphones zu schenken: «Jeder Mensch hat dieses Ding, dieses leere Ding in sich, das für immer leer bleibt. Dieses Wissen, dass alles für nichts ist und dass man allein ist. Manchmal kommt dieses Gefühl der Einsamkeit ganz unerwartet über uns. Etwa im Auto oder in der U-Bahn. Dann zücken wir unsere Smartphones und texten wie wild drauflos. Wir haben es verlernt, für Sekunden allein zu sein. Wir wollen uns ablenken. Dabei ist jenes Gefühl genau das, was uns zu empathischen Menschen macht. Ein Gefühl, das uns alle vereint.»

Jederzeit umlernen

Je schneller der technologische Fortschritt auf uns zurollt, desto dringender müssen wir uns die Frage stellen, welchen Preis wir für ständige Erreichbarkeit zu zahlen bereit sind. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen hat jüngst im «Guardian» einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er behauptet, dass uns der Einsatz von Smartphones und Facebook zu entfremdeten Gestalten verwandelt. Die um sich greifende Oberflächlichkeit, die in der digitalen Welt zu regieren scheint, überträgt sich in die reale Welt in Form von sozialer Apathie. In dem Text mit dem Titel «Was ist falsch mit der modernen Welt?» schreibt Franzen: «Es gibt eine wunderbare Werbung im Fernsehen, die eine Hochzeitsfeier zeigt. Eine Gruppe von Zwanzigjährigen macht dort nichts anderes, als Fotos mit Smartphones zu schiessen und sie sich gegenseitig zuzuschicken.» Anstatt miteinander zu kommunizieren und Erlebnisse in der Realität zu teilen, ist in dieser Szene die medialisierte Realität zur wirklichen geworden. Man sieht, wie diese Hochzeitsbesucher es verlernt haben, wahre Empfindungen aufzubauen und sie sich gegenseitig mitzuteilen. Man muss sich nicht viel Mühe geben, um auf solche grotesken Szenen in unserem Alltag zu stossen. Was Franzen beschreibt, betrifft nicht nur sein Heimatland USA, sondern alle westlich orientierten, vom Technologiekonsum betroffenen Nationen. Und es ist kein Ende der Entfremdung in Sicht.

Jonathan Franzen referiert bei seinen Mahnungen auf die neue englische Übersetzung von Karl Kraus' Zeitschrift «Die Fackel», in welcher der grosse österreichische Satiriker und Zeitanalytiker Technologiekritik mit Blick auf die Zeit nach 1900 betreibt. Doch eigentlich haben die Verwerfungen des Fortschritts schon viel früher eingesetzt. Schon Goethe erkannte zu Lebzeiten die Gefahren des ständigen Wandels und warnte davor, dass die technologische und soziale Innovation mit dem Verlust von Entspanntheit und Konzentration einhergingen. Im Roman «Die Wahlverwandtschaften» beschreibt er das Gefühl der Verzweiflung, wenn sich der Mensch in einer technologisch beschleunigten Welt wiederfindet, in der Traditionen und Gewissheiten in schwindelerregendem Tempo erodieren: «Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.»

So steht es da. Und was fühlen wir heute? Wenn wir den Zug der Zeit nicht verpassen wollen, müssen wir permanent umschulen. Facebook und Twitter, Google und Apple zwingen uns dazu. Doch leider macht uns das weder schlauer noch glücklicher. Schlimmer noch: Der Gang durch Einkaufszonen und Schulen, wo jeder Zweite mit seinem Smartphone beschäftigt ist, beweist, dass wir uns voneinander entfernen. Der Mut zur Begegnung schwindet. Der Narzissmus obsiegt. Die seelische Verbarrikadierung nimmt zu. Wir verabschieden uns in eine digitale Welt, die uns alle virtuellen Freiheiten bietet, ohne dass dies mit einem realen Risiko verbunden wäre. Gegen diese Verblendung, gegen diese Abhängigkeit liesse sich durchaus etwas tun. Man müsste nur abschalten können.

Tomasz Kurianowicz ist Literaturwissenschafter und Journalist. Er lebt in New York City und Berlin