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Grussworte Verleihung Ambassadorpreis 2012...
Dienstag, 26. Februar 2013, 18:00 Uhr, Park Casino
Lydia Stutz stellt seit jeher den Mitmenschen ins Zentrum und verfügt tief im Innern über das helfende, selbstlose Gen, das ich allen Menschen und auch uns allen vermehrt wünsche.
Liebe Ambassadoren, liebe Gäste, vor allem aber liebe Lydia Stutz
Ich freue mich sehr, heute hier mit Ihnen zu sein und eine engagierte, sympathische und vorbildliche Frau zu ehren, die unser aller Bewunderung verdient.
Liebe Lydia, ich freue mich als Kulturdirektor des Kantons Schaffhausen mit dir über deine Auszeichnung Ambassadorenpreis 2012. Wir kennen uns nun doch schon einige Jahre und so ist es mir Freude und Ehre neben dem Überbringen des regierungsrätlichen Grusswortes die Laudatio halten zu dürfen. Ich mache das gerne, weil ich dein Schaffen und Wirken achte und dich auch als Menschen sehr schätze.
Erinnern Sie sich? Lydia Stutz, wohnhaft in Stetten, geriet in den Fokus der nationalen Medien, als sie als Teamseniorin des Schaffhauser Teams mit fast 72 Jahren in der vielbeachteten Sendung „PISA – Kampf der Kantone" gleich bei der ersten Sendung den Tagessieg holte und mit ihrem grossen Wissen der Schaffhauser Mannschaft zum Sieg verhalf. Dafür bekommt sie aber nicht den Ambassador!
Sie könnte gut meine Mutter sein. Lydia Stutz, wie mein Vater 1933 geboren, im zürcherischen Otelfingen als zweitjüngstes Kind einer Familie mit 6 Kindern aufgewachsen. Dörfliche Idylle, der Vater Ingenieur bei Brown Boveri in Baden, eine angesehene Familie im Dorf. Schnell war für die kleine Lydia klar, dass sie unbedingt Hebamme werden wollte.
Die Dorfschule wurde noch klassisch geführt. Ein Lehrer für die 1. bis 3. Klasse und ein Lehrer für die 4. bis 8. Klasse. Lange hatte niemand gemerkt, dass die kleine Lydia gar nicht richtig lesen konnte. Auch erkannte man damals noch nicht, dass sie Legasthenikerin war. Erst in der 6. Klasse konnte sie richtig lesen. Von einem Moment auf den anderen! Sie hatte ein anderes Mädchen lesen gehört und dachte ganz still für sich: „Das, was die kann, kann ich auch!" Und „Zack!" plötzlich ging es.
Nach der Sekundarschule und einem Haushaltlehrjahr wollte sie mit 20 Jahren ihren Traum Hebammenausbildung verwirklichen. Doch der Einstieg war alles andere als einfach. In einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, zeigten sich anfängliche Hürden. Damals war man noch nicht so umfassend aufgeklärt, und als die junge Lydia Stutz gleich in der Gebärabteilung im Spital eingesetzt wurde, zeigte sich bei ihr ein eigentlicher „Spitalschock". So lernte sie zuerst Kinderkrankenschwester, was sich für ihre weitere Tätigkeit als durchaus nützlich erwies. Es folgten Sprachaufenthalte im Welschland und in England. Auch musste Geld verdient werden, um die Hebammenschule Aarau finanzieren zu können. Mit 30 Jahren hatte sie diese beendet.
Und gleich folgte auch der Ruf nach Peru in den Urwald. Zuerst musste sie Spanisch lernen und war zuerst in einem Internat, wo sie Kinder betreute und Englisch und Handarbeit unterrichtete. Weil sie unbedingt auch das peruanische Diplom als Hebamme im Sack haben wollte, absolvierte sie auch noch diese Ausbildung. Sie wollte nicht einfach nur als Hebamme tätig sein, sondern auch junge Peruanerinnen ausbilden. Eine Hebamme in Peru hat Doktorstatus, kann selber Medikamente verschreiben.
Bis 1975 war das peruanische Dorf Tocache mit ca. 800 Einwohnern 10 Jahre lang ihre Wirkungsstätte. Ein Dorf ohne Apotheke, ohne medizinische Versorgung, ohne Telefon, ohne WC und nur 1 mal pro Monat mit Post versorgt. Sie fuhr als erste mit einem Fahrrad durch die Strassen und musste bei auswärtigen Geburten im Einzugsgebiet mit dem Pferd anreisen. Als Hebamme war sie bei den Einwohnern hoch geachtet und auch von den örtlichen Behörden getragen. So wurde sie am Nationalfeiertag auch mehrmals mit einem Ehrendiplom für ihre Arbeit im Dorf ausgezeichnet. Die Dorfregierung schenkte ihr sogar ein Stück Land, auf dem sie ein Lehmhaus mit Dach errichten liess, wo sie fortan lebte und ihr Sprechstunden- und Wöchnerinnenzimmer einrichtete.
Das Haus war wegen der hohen Hitze und der extremen Luftfeuchtigkeit nach oben offen und mit einem offenen Firstdach gegen den Regen versehen! In unseren Breitengraden unvorstellbar. Die Einwohner von Tocache waren anständige und herzliche Leute, und es war für sie eine grosse Ehre ihr als Weisse nach einer Geburt ein festliches Mahl zu bereiten. Sie nannten sie „Gringa", was dort als Begriff positiv besetzt ist, und die Kinder riefen ihr sogar „Gringita" auf der Strasse.
Lydia Stutz führte nicht nur Geburten durch, sondern hielt auch Sprechstunden ab und versorgte die gesamte Bevölkerung. So hat sie auch rund 10'000 Zähne gezogen! Ein peruanischer Arzt wurde erst nach 7 Jahren von der Regierung in dieses Gebiet entsendet. Malaria, Amöben, Würmer, Angina, Abszesse, Hepathitis A, B und C waren Krankheiten, die Lydia Stutz selber alle auch durchmachte. Das Klima ist extrem heiss und feucht und damit idealer Nährboden für verschiedene Krankheiten. Auch Verhütung war ein Thema. Da gab es Familien mit 12 Kindern! Lydia Stutz verschrieb die Pille und bezahlte auch mit dem Einverständnis der Eheleute Sterilisationen. Abtreibungen lehnte sie aber aus innerer Überzeugung strikte ab. Generell waren die Männer bei den Geburten nicht dabei, sie verzogen sich meistens. Ach, diese Männer!
Ein häufiges medizinisches Problem waren die Schlangenbisse. Hochgiftige Schlangen machten das Leben der Bevölkerung nicht immer einfach. Antiserum stand nicht zur Verfügung. Die nächste Stadt war eine Tagesreise entfernt und das Serum wäre auf der Reise bei der grossen Hitze unweigerlich kaputtgegangen. Lydia Stutz spritzte aber als Antiallergikum „Sandosten Calzium" in hohen Dosen und rettete so einige Leben.
Die Dorfbevölkerung in Tocache waren einfache Leute, Bauern und Selbstversorger, die Hühner und Meerschweinchen hielten. Erst später investierte die Regierung in eine Anlage zur Palmöl-Herstellung und es wurden auch Mais, Reis und Kaffee angebaut und verkauft. Leider folgte später auch im Verborgenen der Anbau von Kokain und mit dem Drogenhandel nahm auch die Kriminalität zu. „Früher konnte man alle Türen offen lassen, heute ist es leider gefährlich auf den Strassen!" So wurde Lydia Stutz vor ihrem letzten Besuch in Tocache gewarnt, dass man auf offener Strasse erschossen werde. Sie liess sich aber nach ihrer Rückkehr in die Schweiz von Besuchen in ihrem geliebten Dorf nie abschrecken.
Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz arbeitete sie zuerst auf der Gynäkologie am Kantonspital Schaffhausen. Sie konnte 1 Jahr lang eine Spezialschule in Wien besuchen, um sich als Lehrerin für Krankenpflege ausbilden zu lassen. Dies, weil sie in Schaffhausen die neu gegründete Pflegerinnenschule als Leiterin übernehmen sollte. Später hat sie auch noch 8 Jahre lang als Leiterin des Beschäftigungsprogrammes mit Schwerstbehinderten in der Rabenfluh gearbeitet, bevor sie mit 62 pensioniert wurde.
Auf meine Frage, wie denn Ihr Peruaufenthalt Ihr Leben geprägt habe, antwortet sie mir: „Ich bin offener, toleranter geworden und fühle mich viel näher bei der Natur. Ich habe andere Werte kennen gelernt als nur Wohlstand und Geld!". Lydia Stutz sorgt sich durchaus auch um unsere Gesellschaft. „Die Leute werden immer mehr Ich-bezogen. Sie hören immer weniger auf die anderen. Egoismus macht sich breit. Immer wird nach noch Besserem und noch Teuerem gestrebt. Wir müssen Sorge zur Natur tragen und nicht nur immer hier in der Gegenwart leben, sondern auch Verantwortung übernehmen für das, was noch kommen wird."
Auf ihren Spaziergängen, die die Gesundheit zulassen, rund um Stetten entdeckt sie die Natur und kennt jeden Baum und jede Pflanze. Sie liebt das Licht und die Nähe zum Himmel hier im Schaffhauserland. Da ist es ihr wohl, hier lebt sie gerne und geniesst jeden Moment. Als Mitbewohner hat sie ihre zwei geliebten Katzen. Lydia Stutz macht Besuche bei älteren Menschen, spielt mit ihnen Scrabble oder Kartenspiele und schätzt aber auch den Kontakt mit Jungen sehr. Mit grosser Freude singt sie im Gemischten Chor Stetten mit. Die Geselligkeit im Chor und die Begegnungen auf der Strasse im Dorf bedeuten ihr viel. Und ganz für sich fügt sie mit grossem Geschick und bei klassischer Musik 1000er Puzzles zusammen, wofür mir die Geduld und die dazu nötige innere Ruhe ganz eindeutig fehlen würden. Aber wir teilen auch eine heimliche Passion: Wir lieben beide saftige Krimis am Fernsehen!
Lydia Stutz, eine bemerkenswerte und bescheidene Frau, an der wir uns alle ein Beispiel nehmen können. Der Ambassadorpreis ist mehr als verdient! Ich freue mich darüber! Herzliche Gratulation.