Aktuelles / Notizen

04.01.2013

Christian Amsler zu Studiengängen


Interview zur Lancierung der Diskussion um Studiengänge an den Hochschulen

Amsler will mehr Ingenieure - Der oberste Erziehungsdirektor lanciert eine Debatte um den Numerus clausus.

von Bodo Lamparsky, Redaktor Schaffhauser Nachrichten

Seine Mailbox sei übergequollen, sagt Christian Amsler (50) nach seinem Auftritt im «10vor10» vom Mittwochabend. Im Schweizer Fernsehen hatte sich der Schaffhauser FDP-Regierungsrat und frischgebackene Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) der Deutschschweiz für eine Beschränkung der freien Studienwahl eingesetzt. Mit Blick auf den Jobmarkt forderte er einen Numerus clausus für die Sozial- und die Geisteswissenschaften. Die Zahl der Studierenden in diesen Disziplinen hat gemäss dem TV-Bericht zwischen 1995 und 2011 von 28 000 um über 50 Prozent auf 43 000 zugenommen.

Die Reaktionen auf Amslers Vorschlag fielen heftig aus. «Die Spannweite reicht von absoluter Begeisterung bis zu völliger Empörung», sagt der EDK-Präsident. Im Interview mit den «Schaffhauser Nachrichten» relativiert er jetzt seine Position. «Im Grundsatz bin ich für die freie Studienwahl», sagt er. Er wolle nicht einzelne Studiengänge gegeneinander ausspielen. Als Politiker müsse er jedoch wichtige Diskussionen in Gang bringen. Sorge bereitet Amsler das Fehlen von genügend Studenten im Ingenieurwesen und in den Naturwissenschaften, wie es auch von der Wirtschaft moniert wird. Der Numerus clausus sei da eine Möglichkeit, das Angebot zu steuern.

«Die Studienfreiheit hat ihre Grenzen»

Christian Amsler: «In der Bildungspolitik müssen wir entscheiden, wen wir im eigenen Land ausbilden wollen und wen wir durch Zuwanderung ins Land holen wollen.» Bild Selwyn Hoffmann

Christian Amsler hat mit dem Ruf nach einem Numerus clausus für die Sozial- und Geisteswissenschaften in ein Wespennest gestochen. Jetzt relativiert der neue Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz seine Forderung.

Christian Amsler, gleich am ersten Tag im neuen Amt haben Sie Ihre Idee, die Wahlfreiheit für bestimmte Studien- fächer einzuschränken, übers Fern- sehen publikumswirksam unters Volk gebracht. Es sieht so aus, als hätten Sie das kaum erwarten können.

Christian Amsler: Diese Aufmerksamkeit habe ich nicht gesucht. Das Schweizer Fernsehen hat das Thema Numerus clausus aus einem früheren Interview aufgegriffen. Die extremen Reaktionen darauf zeigen mir aber, dass es sich in der Tat um eine wichtige Fragestellung handelt, die man zumindest einmal diskutieren sollte. In diesem Sinne war das durchaus ein fulminanter Start ins neue Jahr. (lacht)

Ihr Mail-Postfach ist nach Ihrem «10vor10»-Auftritt vom Mittwochabend übergelaufen?

Amsler: Natürlich habe ich sehr viele Mails bekommen. Die Spannweite reicht von absoluter Begeisterung bis zu völliger Empörung.

Und – müssen sich angehende Volkskundler und Soziologen jetzt warm anziehen?

Amsler: Nein, so würde ich das nicht sagen. Mir ist es überhaupt nicht darum gegangen, einzelne Studiengänge ins Visier zu nehmen oder gegeneinander auszuspielen. Im Grundsatz bin ich für die freie Studienwahl. Ich will aber eine Auseinandersetzung darüber lancieren, wo es in einer finanzpolitisch belasteten Zeit Sinn macht, genauer hinzusehen. In der Medizin kennen wir den Numerus clausus seit vielen Jahren. Da kann man doch fragen, ob man ihn nicht auch in anderen Studiengängen anwenden sollte. Meine Funktion als Bildungspolitiker ist, dass ich wichtige Diskussionen in Gang bringe. Dazu muss ich Reibung erzeugen. Ich bin nicht dazu gewählt, Kuschelpolitik zu betreiben, die allen gefällt.

Ist die Phil.-Ier-Schwemme denn wirklich so schlimm?

Amsler: Wenn wir in einzelnen Studiengängen eklatant viele Abgänge zu verzeichnen haben und uns in anderen Studienrichtungen Studenten fehlen, dann betrachte ich das schon mit Sorge. Zu nennen sind da vor allem das Ingenieurwesen und die Naturwissenschaften, aber auch das Gesundheitswesen und die Lehrerausbildung, wo es uns an Nachwuchs mangelt. Der Numerus clausus ist eine Möglichkeit, das Angebot besser zu steuern. Wir tragen alle eine grosse Verantwortung dafür, dass die richtigen Leute das Richtige studieren.

Schuld an dem Ungleichgewicht sind wohl die jungen Frauen, die sich nicht genügend für Naturwissenschaft und Technik interessieren?

Amsler: Man darf daraus keinen Kampf zwischen den Geschlechtern machen. Die Statistik besagt aber, dass wir bei den Frauen eine steigende Maturitätsquote und eine steigende Zahl Studierender haben. Und es ist schon so, dass Frauen die weichen Studienrichtungen bevorzugen. Da müssen wir versuchen, einen gewissen Ausgleich zu Naturwissenschaft und Technik hinzubringen.

Glauben Sie tatsächlich, über einen Numerus clausus für Geistes- und Sozialwissenschaften generell mehr Informatiker und Ingenieure zu bekommen?

Amsler: Das wäre wohl zu kurz gegriffen. Notwendig sind verschiedene Massnahmen. Zum einen muss die von der Wirtschaft verlangte Förderung der Naturwissenschaften ganz früh in der Schulzeit einsetzen, am besten schon im Kindergarten oder in der Primarschule. Zum anderen muss die Studienberatung die Vor- und Nachteile der einzelnen Studienrichtungen unmissverständlich aufzeigen. Wir haben heute eine grosse Zahl von Studienwechseln – und eine grosse Zahl von Studierenden, die nicht wissen, wo sie hinwollen.

Der Vorsitzende der Schweizer Unirektoren ist gegen eine Beschränkung der freien Studienwahl. Die Unis werden auch kaum dafür zu begeistern sein.

Amsler: Das ist klar, und das verstehe ich auch. Irgendwo hat die Studien- freiheit aber eben ihre Grenzen – vor allem, wenn wir betrachten, wie wir landauf, landab finanziell unter Druck stehen. Auch von den Universitäten erwarte ich, dass sie sich Gedanken machen, wie man die steigenden Ausgaben im Bildungswesen in den Griff bekommt. Es kann nicht sein, dass man nur in der Volksschule sparen muss. Da muss die Politik den Akteuren auch mal auf die Füsse treten.

Haben Sie Ihr Einstehen für einen Numerus clausus mit Ihren Kollegen aus der Erziehungsdirektorenkonferenz abgesprochen – oder nur mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Sie in dieser Frage unterstützt?

Amsler: Weder noch. Wie gesagt, man muss als Politiker Diskussionen in Gang bringen.

Rangiert Wirtschaftspolitik in Ihren Augen vor Bildungspolitik?

Amsler: Nein, überhaupt nicht. Bildungspolitik muss langfristig ausgelegt sein. Man darf nicht auf jeden Pieps von aussen reagieren. Und doch kann es durchaus hilfreich sein, wenn uns Wirtschaft und Gewerbe gelegentlich auf die Finger klopfen.

Die Einschränkung der Studienfreiheit wäre eine staatliche Zwangsmassnahme. Wie verträgt sich das mit dem Gedankengut eines liberalen Politikers?

Amsler: Ich bin im Herzen ein Liberaler. Planwirtschaft liegt mir meilenweit entfernt. Aber ich warne davor, die Studienfreiheit zu einer parteipolitischen Frage hochzustilisieren. Wir haben in diesem Land alle gemeinsam eine Verantwortung, dass unser Nachwuchs gut ausgebildet wird und unsere Arbeitslosenquoten so tief bleiben, wie sie sind. Irgendwo hat die grenzenlose Freiheit unserer Bürger auch Grenzen.

Gelernt werden soll demnach, was die Unternehmen gerade brauchen?

Amsler: Prinzipiell wünsche ich den jungen Menschen, dass sie jenes Fach studieren können, das sie sich wünschen. Aber wenn man Missverhältnisse feststellt, muss es möglich sein, dass man Regulierungen einführt. Das hat man in der Medizin ja auch getan. In der Bildungspolitik müssen wir entscheiden, wen wir im eigenen Land ausbilden wollen und wen wir durch Zuwanderung ins Land holen wollen.

«Ich bin nicht dazu gewählt, Kuschelpolitik zu betreiben, die allen gefällt»

«Die Studienfreiheit hat ihre Grenzen»

Christian Amsler Der «Mister Lehrplan 21»

Per 1. Januar hat der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler (FDP) sein Amt als Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz angetreten. In dieser Funktion wird sein Hauptaugenmerk auf der Arbeit am neuen Lehrplan 21 liegen. Das Regelwerk soll im Herbst 2014 den Kantonen übergeben werden. Für diesen Sommer ist eine breite öffentliche Diskussion dazu vorgesehen. Amsler (50), ausgebildeter Lehrer, gehört dem Schaffhauser Regierungsrat seit 2009 an. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.