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Grosses SN Interview zu Bildungsfragen
Mit der heutigen Ausgabe geht die grosse Schulserie der «Schaffhauser Nachrichten», die im Juni begonnen hat, zu Ende. Zum Abschluss nimmt Regierungsrat Christian Amsler, der Vorsteher des Erziehungsdepartements, Stellung zu den verschiedenen Problemen, die im Rahmen der Serie zur Sprache kamen. Er will vermehrt die Lehrpersonen ins Zentrum stellen: «Da geht es um Wertschätzung und darum, sich bei unberechtigter Kritik vor sie zu stellen», erklärt er. Er wolle, dass die Lehrkräfte «wieder ruhig in der Schule unterrichten können». Zukünftige Reformen im Schulwesen sollen nicht einfach verordnet werden: «Es geht aber nicht an, Reformen einfach von oben über die Schule zu stülpen, sondern es ist wichtig, vorher alle, die davon betroffen sind, ins Boot zu holen.»
Kritik soll geprüft werden
Weitere Reformen seien aber notwendig, denn «man kann nicht einfach nichts machen». So hält Amsler an Schulleitungen, allerdings in abgespeckter Form, fest, ebenso wie am Berufsauftrag für Lehrpersonen. Die Regierung wolle aber die Kritik der Lehrerschaft am Entwurf ernsthaft prüfen.
Schulserie, Teil XIV Abschlussinterview mit Christian Amsler, Vorsteher des Erziehungsdepartements
Seit Juni haben die SN wöchentlich allen Beteiligten im Bildungswesen den Puls gefühlt und ihre Sorgen und Nöte als Serie veröffentlicht. Zum Schluss haben wir den zuständigen Regierungsrat, Christian Amsler, befragt.
Von Erwin Künzi
Christian Amsler, was ist Ihnen beim Lesen der Serie besonders aufgefallen?
Christian Amsler: Mir fiel vor allem auf, dass die Schule im Fokus und im Gespräch ist, und zwar nicht nur in Schaffhausen. Über die Schule wird gesprochen, was meinem Leitsatz «Bildung im Dialog» entspricht. Die SN haben mich dabei unterstützt. Ein breites Spektrum wurde abgedeckt, viele kamen zu Wort. Das war spannend mitzuverfolgen.
Beginnen wir mit einem Problem, mit dem sich die Schulen vor allem in den grösseren Gemeinden und in der Stadt konfrontiert sehen: Die Unterschiede zwischen den einzelnen Kindern, was ihre Entwicklung und ihre Sprachkenntnisse angeht, sind gross. Diese Unterschiede treten mit der Integrierten Schulform (ISF) teilweise noch stärker zutage. Frage dazu: Wie weit soll die ISF gehen, welche Kinder können noch in die Regelklasse aufgenommen werden, welche nicht?
Amsler: Hier eine Grenze festzulegen, ist schwierig, denn jeder Einzelfall soll für sich angeschaut werden. Meine Haltung ist: Integration ja, aber nicht um jeden Preis. Also: Integration wo möglich, Separation wo nötig. Aber es ist klar, diese Heterogenität bei den Kindern ist eine Realität und nimmt zu.
Roland Kammer, der Präsident des Lehrervereins, hat im Interview erklärt, Lehrkräfte, die versuchten, die ISF gut umzusetzen, würden oft im Stich gelassen. Er sprach dabei die Stundendotationen, die flankierenden Massnahmen und die Klassengrössen an. Ist da in Zukunft eine Besserung zu erwarten?
Amsler: Die ISF, so wie sie jetzt ist, ist nicht gottgegeben. Ich höre immer wieder, dass die Dotationen zu knapp sind, wobei das natürlich finanzielle Gründe hat. Hier sehe ich zudem ein weiteres Problem: In ISF-Klassen muss die Lehrperson oft ohne die Hilfe der Heilpädagoginnen auskommen. Es ist mir klar, dass es für die Lehrpersonen von ISF-Klassen eine grosse Herausforderung ist, mit dieser Bandbreite umzugehen. Früher oder später braucht es eine kritische Evaluation, unter Einbezug aller Beteiligter. Erst dann kann sachlich über Massnahmen diskutiert und entschieden werden.
Ein weiteres Problem, das in der Serie angesprochen wurde, ist die Lehrerausbildung, die Spezialisten und keine Allrounder mehr hervorbringt. Das hat zur Folge, dass Schulklassen verschiedene Lehrkräfte haben, die oft noch Teilzeit arbeiten. Ist das für Sie o.k., oder braucht es hier eine Korrektur?
Amsler: Durch die Bologna-Reform hat sich auch das Ausbildungskonzept an den Fachhochschulen und damit an den Pädagogischen Hochschulen geändert. Wir müssen jetzt den Mut haben, weitere Erfahrungen zu sammeln, und eine gewisse Zeit warten, bis wir die neue Ausbildung bewerten. Ich will aber nicht verhehlen, dass es in einzelnen Kantonen, zum Beispiel in Schwyz und Zürich, Tendenzen gibt, wieder zum «Mehrkämpfer» zurückzukehren. Ich stehe aber klar hinter dem neuen Weg der Lehrerbildung und würde es schlecht finden, wenn unkoordiniert das alte System wieder eingeführt würde, denn die Ausbildung muss schweizweit einheitlich sein. Dies dient der Qualitätssicherung und gewährleistet die Ar-beitsmarktfähigkeit der Lehrpersonen im ganzen Land. Sollte sich aber die Erkenntnis durchsetzen, dass wir zum alten System zurückwollen, muss das koordiniert geschehen.
Wir haben die Teilzeitarbeit der Lehrkräfte angesprochen. Diese hat Vorteile, bringt aber auch Probleme, zum Beispiel organisatorischer Art. Und sie führt dazu, dass immer weniger Männer den Lehrerberuf ergreifen, da sie, um eine Familie zu ernähren, eine Vollzeitstelle brauchen. Aber, so Roland Kammer, «mit den heutigen Ansprüchen an einen Lehrer ist es unmöglich, 100 Prozent zu arbeiten.» Was läuft da schief?
Amsler: Ich gebe zu, der Trend zu Teilpensen besteht, verweise aber auch darauf, dass immer noch viele Lehrkräfte zu 100 Prozent arbeiten. Aber es stimmt, der Lehrerberuf ist anstrengender und vor allem anspruchsvoller geworden, auch emotional. Daher wählen gerade jüngere Lehrpersonen, die frisch aus der Ausbildung kommen, zuerst einmal ein Teilpensum, um erste Erfahrungen zu sammeln. Falls sich an der Situation nichts ändert, muss man über die Pensen sprechen, also die Lektionenzahl, die eine Lehrkraft zu unterrichten hat. Die Regierung war in den letzten Jahren bereit, hier einen massvollen Abbau vorzunehmen. Dieser hatte aber massive Kosten zur Folge.
Aber was wollen Sie sonst tun, um den Lehrerberuf wieder attraktiver zu machen und dem sich abzeichnenden Lehrermangel entgegenzuwirken?
Amsler: Mir ist es ein persönliches Anliegen, dass die Lehrpersonen im Zentrum stehen. Da geht es um Wertschätzung und darum, sich bei unberechtigter Kritik vor sie zu stellen. Ich habe seit meinem Amtsantritt viele Gespräche geführt und dabei erfahren, dass es nicht in erster Linie um mehr Lohn geht, sondern wie gesagt um Wertschätzung und darum, ruhig in der Schule unterrichten zu können. Hier gibt es auf allen Seiten Handlungsbedarf. Ich versuche, wo immer möglich, eine Lanze für diesen schönen Beruf zu brechen. Zudem sind wir in der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) ständig mit dem Schweizerischen Lehrerverband im Gespräch, was Anstellungsbedingungen angeht und wie mögliche Karrieren, auch für Lehrpersonen, aussehen könnten.
Aber wie passen jetzt Ihre Ausführungen zum Entwurf für den Berufsauftrag für Lehrer, den die Lehrerschaft strikte ablehnt und als Misstrauensvotum auffasst, sowie zu diversen Gerichtsverfahren, die zwischen dem Erziehungsdepartement (ED) und diversen Lehrkräften im Gang sind?
Amsler: Zu den Gerichtsfällen nur so viel: Überall, wo engagiert gearbeitet wird, gibt es auch Schattenseiten und Meinungsverschiedenheiten; diese gilt es zu klären. Was den Berufsauftrag angeht, so wird dieser kommen. Wir sind jetzt daran, die Vernehmlassung auszuwerten, und wir werden die verschiedenen Einwendungen und Rückmeldungen sehr ernst nehmen. Die Knackpunkte sind ganz klar die Verpflichtung für Aufgaben und Arbeiten für maximal 10 Tage ausserhalb der Schulwochen sowie die nicht gewährte Entlastungsstunde für Lehrkräfte von Regelklassen. Diese Punkte werden in der Regierung nochmals angeschaut.
Die Ansprüche an die Lehrkräfte nehmen stetig zu, und viele beklagen sich, dass sie sich nicht aufs Unterrichten konzentrieren könnten, sondern durch andere Probleme, unter anderem auch durch administrative Ansprüche nicht zuletzt vonseiten des ED, absorbiert würden. Können Sie diese Klagen nachvollziehen?
Amsler: Die kann ich sehr gut nachvollziehen. In den letzten Jahren sind sehr viele Reformen auf die Schule eingeprasselt. Daher ist es mein erklärtes Ziel, wieder Ruhe und Verlässlichkeit in die Schule zu bringen. Die geleitete Schule wird eine deutliche Entlastung für die Lehrkräfte vor Ort bringen und ist deshalb für mich ganz zentral. Was ich aber in aller Form zurückweisen möchte, ist der Vorwurf, das ED drangsaliere die Lehrkräfte; da nehme ich die Schulinspektoren ausdrücklich in Schutz. Nicht sie sind für die verschiedenen neuen Projekte wie etwa Frühenglisch verantwortlich, sondern die Politik auf allen staatlichen Ebenen. Dieser Projekte muss sich jemand annehmen, und das sind dann die Schulinspektoren als Fachpersonen. Zudem braucht es sie für die Wahrnehmung der kantonalen Aufsicht im Schulwesen. Ihre Hilfe wird übrigens draussen in den Schulen geschätzt; wo nötig sind sie präsent. Ich wehre mich deshalb entschieden gegen den Pauschalvorwurf, sie würden einfach nur Papiere produzieren.
Im Rahmen der SN-Schulserie sind immer wieder Forderungen geäussert worden. Will man diese erfüllen, so kostet das Geld. Sind Sie bereit, in der Regierung entsprechende Anträge zu stellen, und glauben Sie, dass Sie damit durchkommen?
Amsler: Die Regierung erkennt den hohen Stellenwert der Bildung und ist sich auch bewusst, dass sie kostet. Dies ist als nachhaltige Investition zu verstehen. Wenn ich mit guten Vorlagen komme, so bin ich sicher, dass die Regierung Ja sagt. Aber wir haben ein Problem: Wir müssen auch die Balance der Bildungskosten, also die Verteilung der Bildungskosten zwischen dem Kanton und den Gemeinden, wieder in Ordnung bringen. Hier sind auch neue Modelle der Bildungs- finanzierung gefragt. Eine Schülerpauschale, wie sie im neuen Schulgesetz enthalten war, könnte ein solches Modell sein.
Ganz allgemein ist in der Schule selber, aber auch im Volk, eine gewisse Reformmüdigkeit in Sachen Bildungsfragen zu spüren. Das zeigen etwa die Diskussionen um die geleiteten Schulen oder zu HarmoS. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Amsler: Auch ich spüre, dass es sehr wichtig ist, wie bereits erwähnt, wieder Ruhe ins System Schule zu bringen. Gleichzeitig muss aber die Schulqualität weiterentwickelt werden. Man kann nicht einfach nichts machen, es muss weitergehen, zum Beispiel mit Schulleitungen in abgespeckter Form. Meine Erfahrung ist, dass, wenn der Dialog mit den Betroffenen gepflegt wird, sehr viel Goodwill besteht. Es geht aber nicht an, Reformen einfach von oben über die Schule zu stülpen, sondern es ist wichtig, vorher alle, die davon betroffen sind, ins Boot zu holen. Es freut mich daher sehr, dass rege über die Schule diskutiert und dieser Dialog geführt wird. Deshalb hatte ich auch Freude an der SN-Schulserie, weil sie einen wertvollen Beitrag zu diesem Dialog geleistet hat.
«Früher oder später braucht es bei der Integrierten Schulform eine kritische Evaluation, unter Einbezug aller Beteiligten»
«In den letzten Jahren sind sehr viele Reformen auf die Schule eingeprasselt. Es braucht wieder Ruhe und Verlässlichkeit»