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Klodin Erb „Vorhang fällt Hund bellt“

Klodin Erb „Vorhang fällt Hund bellt“ Kunsthaus Aarau 2025-2026
Klodins Erb ist eine bemerkenswerte Künstlerin, deren Kunst unter die Haut geht. Wir haben im Kunsthaus Aarau "Vorhang fällt Hund bellt" besucht, die bisher grösste institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin, die 2022 mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet wurde. Schicht für Schicht gibt die Künstlerin den Blick frei auf ihre expressiven und fantastischen Bildwelten. Stark und zerbrechlich, ernst und humorvoll, sinnlich und tiefgründig – Klodin Erbs Gemälde, Werke aus Textil, Installationen und Videos lösen Gegensätze und Hierarchien auf. Die Künstlerin überschreitet die Grenzen der Malerei, erforscht und erweitert das Medium: Mit ihren vielfältigen Metamorphosen wirkt Klodin Erbs Kunst befreiend.
Das Publikum kann für den Einstieg in die Ausstellung zwischen drei Eingängen wählen und so auf verschiedenen Wegen in das Universum der Künstlerin eintauchen. In der dramaturgischen Gesamtinszenierung begegnen wir Motiven aus Klodin Erbs facettenreichem Repertoire: einer Zitrone, Emojis, Porträts von Berühmtheiten, mythologischen Figuren und sogar der Künstlerin selbst. Die Ausstellung lädt ein, den stetigen Wandel und das Leben zu feiern.
Seit ihren künstlerischen Anfängen in den 1990er-Jahren testet Klodin Erb (*1963, lebt in Zürich) die Grenzen der Malerei aus, erforscht und erweitert das Medium.
In der bisher grössten institutionellen Einzelausstellung der Künstlerin bewegen wir uns in einer dramaturgischen Gesamtinszenierung. So werden Verwandschaften zwischen unterschiedlichen Schaffensphasen sichtbar: Frühwerke aus Textil treffen auf aktuelle, bühnenhafte Gemälde; Motive und Figuren wandern durch Räume und Zeiten.
Einige beeindruckende Werke näher betrachtet

Transformation
Hier beginnt der Übergang in den metaphorischen Todeswald, einen Ort der Kontemplation, an dem sich die Formen auflösen. Die Serie Transformation (2016/2017) besteht aus sechs grossformatigen Tuscharbeiten auf Leinwand, deren lasierend blaue Farbflächen sich wie Blüten - oder wie Körper? - im Raum entfalten. Transformation wird so als poetischer Prozess erfahrbar-flüssig und durchlässig. Manche Formen lassen an vegetative Strukturen denken, andere an hochgezogene Knie oder verschränkte Arme. Blume wird Mensch, Mensch wird Landschaft.
Zwischen die grossen Leinwände sind kleinformatige Gemälde gehängt - wie Perlen einer Kette. Sie zeigen unterschiedliche Variationen einer Zitrone, ein Motiv, das in Klodin Erbs Œuvre immer wieder auftaucht. In den Ölgemälden wird die Zitrone zum Subjekt: Mal ist sie blutig, mal geschält, sie steckt in einer mit Pelz verhüllten Tasse oder im Gebiss eines Totenkopfs. Mit Werden und Vergehen beschäftigt sich auch der Film Ein langer Tag (2018). Er basiert auf einer Glasmalerei, die sich im Bewegtbild in eine schwebende, unendlich weite Landschaft verwandelt. Als zeitgenössische Antwort auf das Genre der Landschaftsmalerei ist diese Arbeit ein Gegenstück zur digitalen Schnelllebigkeit.


Cerberus
Ein schönes Detail: die Mitte des Artiums ist leicht erhöht und dadurch fliesst das von oben durch die Atrium - Dachöffnung eintretende Regenwasser mit schönen Fliessbildern in die seitlichen Regenrinnen.
Das Kunsthaus Aarau ist gut bewacht! Denn im Atrium befindet sich Klodin Erbs witziges Werk Cerberus, 2001 Mixed Media (Holz, Textil, Stopfwatte, Pappe, Lackfarbe auf Wasserbasis, Licht, Ton und Bewegungsmelder), mit Genehmigung der Künstlerin.
Im Innenhof erklingt ein Bellen. Doch statt dem furchteinflössenden Höllenhund aus der griechischen Mythologie begegnen wir einer harmlosen Hundehütte - das Tier selbst bleibt unsichtbar. In Cerberus (2001) verschränkt Klodin Erb Mythos mit dadaistischer Ironie. Auch wenn die Grenze zur Unterwelt bedrohlich nahe heranrückt: Eros und Thanatos, Lebens- und Todestrieb, scheinen sich in einem ewigen Spiel die Waage zu halten.

Orlando
Die monumentale Gemäldeserie Orlando (2013-2021) basiert auf Virginia Woolfs gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1928, in dem die Hauptfigur über 500 Jahre lang lebt und das Geschlecht wechselt. In rund 200 kleinformatigen Porträts, von denen hier etwa die Hälfte zu sehen ist, erzählt der Werkzyklus von einer Identität im Wandel - durch Zeiten, Körper, Klassen und Kulturen. Politiker wie John F. Kennedy erscheinen neben Popkultur-Ikonen wie Amy Winehouse und Charakteren aus dem Film Avatar (2009). Von kubistischen Fragmenten bis zu Anspielungen auf die Porträts des niederländischen Renaissance-Malers Jan van Eyck durchlaufen die Gesichter, Tiere, Objekte und Fantasiegestalten unterschiedlichste Stile. Zwischen Zitat und Neuerfindung entsteht ein kollektives Porträt einer fluiden Existenz.
„Je länger ich dich ansehe, desto mehr zerfällst du in eine grössere Wahrheit. Ich greife nach dir, ertaste Mundwinkel, Nasenflügel, drücke zart in deine Augenhöhle, fahre dir gegen den Augenbrauenstrich, nur um deinen Widerstand zu spüren. Laufe mit zwei Fingern über deine Stirn und hinunter zu deinem Kinn. Weiss ich jetzt, warum sich dein Antlitz ständig verwandelt, vom Kind zur Greisin, vom Präsidenten zum Papst, von der Adligen zur Sängerin? Wie klopfe ich sanft dein Geheimnis aus dir heraus, was klingt so hohl unter deinem Schädelknochen?“

Leda und der Schwan
Die Serie Leda und der Schwan (2024) bringt uns zurück zum körperlichen Begehren. In dieser griechischen Sage verwandelt sich der Gott Zeus in einen Schwan, um sich der irdischen Leda zu nähern. Klodin Erb überführt den vieldeutigen Mythos aus Ovids Metamorphosen in eine kühl glänzende, entrückte Bildwelt. Der klassische Stoff, in der Kunstgeschichte vielfach idealisiert dar-gestellt, wird hier neu gelesen: als ambivalente Begegnung zwischen Begehren, Täuschung und Gewalt. Statt romantischer Verklärung zeigt Klodin Erb eine selbstbestimmte Leda. Mit fliessenden Übergängen zwischen Mensch und Tier lösen sich die klein gehaltenen Bilder von ihren altmeisterlichen Vorlagen.

Kräfte und Säfte
In der Serie Kräfte und Säfte (2021) spriessen filigrane Wurzelwesen in vielfältigen Konstellationen. Allein oder in Gemeinschaft tanzen sie, schreiten voran, streiten miteinander, umarmen sich innig.Sie erinnern an Gemüsesorten wie Karotten und Pastinaken oder lassen an die Wurzeln von Alraunen denken. Auf transparentes Japanpapier gemalt, bewegen sie sich spielerisch zwischen Pflanze und Mensch. Die magischen Wesen symbolisieren Wachstum und Verschmelzung, repräsentieren das Kindliche, aber auch das Knorrige. Inspiriert von ihrem eigenen Gemüsegarten, entwirft Klodin Erb hier eine mögliche Verwandtschaft zwischen menschlichem und nicht menschlichem Leben. Der leuchtende Wurzelreigen schafft einen Raum, der zugleich Ursprung und Ende, Streit und Zärtlichkeit, aber auch Geburt, Tod und Wiedergeburt in sich vereint. So sind wir alle eingeladen, das Leben in all seinen Facetten zu feiern.
Hier geht es zur Website der Künstlerin und hier geht es zur Ausstellung Klodin Erb im Kunsthaus Aarau.

Klodin Erb (Bild NZZ)