Aktuelles / Notizen
IVS Schiff 2017 BILDUNG
Referat „Bildung – fit für die Zukunft?“ IVS Schiff 2017 / RR Christian Amsler
Weil die Menschen in der digitalisierten Welt auch weiterhin im Zentrum stehen sollen, beginne ich mit drei jungen Menschen
Schauplatz 1: Hinwil: Zwei junge Zürcher haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt: Mit ihrer Firma Climeworks möchten sie ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus der Luft filtern. Jan Wurzbacher und Christoph Gebald bilden die junge start-up Firma Climeworks. Die beiden Zürcher ETH-Absolventen, - also Herr Guzella, erfreulicherweise aus Ihrer Küche! - möchten damit auch noch Geld verdienen. 16 würfelförmigen Filter auf dem Dach der Kehrichtverbrennungsanlage Zürcher Oberland bilden die erste Anlage weltweit, welche CO2 aus der Luft filtert und danach an einen kommerziellen Anbieter verkauft.
Schauplatz 2: Maturaarbeit 2017 der Schaffhauser Kanti. Maturand Simon Stamm legt eine faszinierende Arbeit vor, wie er unter Beimischung von Eisenpulver in der Plastikproduktion die Vermüllung der Weltmeere durch Plastik bekämpfen kann, indem man durch diesen Trick der Eisenpartikel Beimischung die Plastikteilchen mit grossen Magneten wieder aus dem Wasser rausholt. Faszinierend!
Wenn es der Schule auch weiterhin gelingt, solche jungen Menschen aus dem System herauszuspucken, dann ist es eine gute Schule! Innovation, Kreativität, Mut, schräges Denken und unkonventionelles Handeln bringen unsere Welt weiter.
Nun, unsere heutige Kernfrage lautet: „Welche Schule für die technisierte Welt von morgen?“ Eine gute Frage! Provokativ und durchaus selbstkritisch dem System Schule gegenüber könnte ich nun salopp antworten, dass die Schule gar nicht für die Welt von morgen vorbereiten kann, weil sie von gestern ist. Aber das sage ich natürlich nicht, es wäre natürlich viel zu einfach und stimmt nur sehr bedingt!
Wir wollen ja die MINT Berufe fördern und landauf und landab lassen gerade auch Polit- und Wirtschaftskreise keine Gelegenheit aus, zu betonen, wie wichtig die MINT-Fächer für die Zukunft der Schweiz sind. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie seien Motor von Innovation und Wirtschaft, die Fächer solle man am besten schon im Kindergarten fördern.
Jetzt zeigt dieser koordinierte Appell offenbar Wirkung. Die Begeisterung für MINT-Fächer ist deutlich gestiegen, wie neuste Zahlen des Bundes zeigen. Immer mehr Studierende nehmen ein MINT-Studium in Angriff. Zwischen 2010 und 2015 stieg der Anteil um 14 Prozent, in allen anderen Fächern lediglich um 5 Prozent. Fachhochschulen spüren den Zuwachs am stärksten (plus 17 Prozent), die Universitäten etwas weniger (plus 12 Prozent), aber noch immer deutlich. Damit beginnt heute jeder dritte Studienanfänger ein Bachelorstudium im MINT Bereich. Das BFS geht davon aus, dass die Nachfrage nach Ausbildungen im MINT-Bereich bis im Jahr 2025 überdurchschnittlich hoch sein wird. Das sind doch schon mal good News!
In welchem Umfeld leben wir? Die grossen globalen Trends schaffen ganz neue Herausforderungen für die Wirtschaft:
Der demografische Wandel beschert uns eine Alterung im Westen und einen Geburtenboom in Entwicklungsländern. Der Aufstieg von China und Indien und eine klar spürbare Krise in den westlichen Demokratien zeigen Trends in der neuen politischen Weltordnung. Der globale Terrorismus und die Weltrisikogesellschaft manifestieren eine wachsende globale Sicherheitsbedrohung und damit auch Instabilität. 60% der neuen Jobs fordern Qualifikationen, über die nur 20% der Leute effektiv verfügen.
Das bedeutet, dass wir alle aufgefordert sind, smart auf den drohenden Fachkräftemängel zu reagieren, indem wir uns tabulos überlegen, wie wir gezielt Arbeitskräfte mobilisieren können. Vielleicht auch etwas provokative Stichworte aus meiner Sicht dazu sind:
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen mit Ganztagesschulen und Betreuungsangeboten
Die Reduktion der Progression auf Zweiteinkommen
Modelle von gezielter Individualbesteuerung
Flexiblere Arbeitsmodelle für ältere Arbeitnehmer und damit gezielte Potenzialnutzung der sogenannten „Silver Economy“ und
Flüchtlinge mit dem Status „aufgenommen“ umgehend in den Arbeitsmarkt lassen
Die „alte“ Schule ist noch nicht weit zurück. Jeder / Jede ging in die Schule und trägt somit das selber geprägte Schulbild in sich. Der Lehrplan 21 ist ein Gemeinschaftswerk der 21 Deutschschweizer Kantone. Ein solch grosses Projekt gab es noch nie im Schweizer Bildungswesen. Der Lehrplan 21 muss derzeit als schwarzes Schaf herhalten für alle Unzulänglichkeiten und für Partikularinteressen von allen Seiten. Die Harmonisierung ist erfreulich weit fortgeschritten und die Hausaufgaben sind (fast) gemacht! Die Lehrerin oder der Lehrer bleibt die Schlüsselperson für guten Unterricht und für den Lernerfolg. Lehrerinnen und Lehrer sind heute enorm gefordert, Schulleitungen ebenso. Die Politik hat die Schule als Tummelfeld und Wahlkampfthema entdeckt. Die Medien prägen Woche für Woche die Schule mit und geben den Takt an, was gerade aktuelles Thema in der Schule ist. Und es gibt sie – die Megathemen der Bildung!
Aber auch die Bildungspolitik ist im Kontext von Lehrplan 21, HarmoS und Kopftuch- und Sprachendebatte mehr als gefordert, Ruhe ins System Schule zu bringen.
Feldversuch hier auf dem IVS Schiff! Ich lege Ihnen die Stundentafel der Volksschule vor, von mir aus auch der Schaffhauser Kantonsschule. Sie haben die Gelegenheit die Schule auf der grünen Wiese, - oder hier besser gesagt auf dem grünen Rhein, neu zu gestalten. Prognose: Nach mehreren Stunden engagierten Debattierens, unter in die Waagschale Werfens ihrer ganzen Bildungskompetenz und unter dem fulminaten Zusammentragen ihrer ganzen pädagogischen Gestaltungskraft wird wohl plus minus wieder der ziemlich genau gleiche Fachkanon herauskommen.
Als Bildungsdirektor können Sie sich besonders beliebt machen, wenn Sie ein Schulfach zum Streichen vorschlagen.
Und ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen: Die viel gescholtenen Lobbyisten in den Gängen des Bundeshauses sind im Gegensatz zu den vereinten und drohend anrollenden Handarbeitsturbos, den Mathematik-Leonardo Da Vincis oder den Historikern nur kleine „Bretzelibueben“!
Durchaus selbstkritisch: Schule ist immer auch eine etwas künstliche Situation. Da hat man ein arges Kästchendenken, legt die verschiedenen Disziplinen portionengerecht in einen Wochenstundenplan und dann lernen 20 gleichaltrige Schülerinnen und Schüler mit einem Lehrer nach dem 7 G Prinzip:
Alle gleichaltrigen Schüler haben zum gleichen Zeitpunkt beim gleichen Lehrer im gleichen Raum mit den gleichen Mitteln das gleiche Ziel gut zu erreichen!
Meine Damen und Herren: Im Prinzip ist das fern von jeglicher Lebensrealität und von dem was gerade auch von der Wirtschaftswelt gefordert ist.
Aber zur Ehrenrettung der Schule: Es wird da ganz viel dagegen gemacht. Individualisierendes Lernen, Lernlandschaft, Projektunterricht, Werkstattunterricht oder Interdisziplinärer Projektunterricht sind nur wenige Stichworte dazu. Sie sehen: Die Didaktik und Pädagogik hat darauf reagiert!
Digitalisierung und Industrie 4.0 erfordern in der Tat Kreativität in allen Berufsfeldern. Doch wie kann man Kreativität für die Berufsbildung fördern? Ist Kreativität lernbar?
Die Erkenntnisse über das Lernen haben die Volksschule, die Sek II Schulen und auch die weiterführenden Tertiärinstitute immer stärker ergriffen und gute Ansätze sind zumindest an vielen Orten sichtbar.
Vom lehrerzentrierten Frontalunterricht (den es aber auch weiterhin brauchen wird) hin zu…..
Embedding
Blended Learning
E-Learning
Mentoringsystem
Schlüsselkompetenzen etc.
Der Unterricht wandelt sich hin zu interprofessionell, interdisziplinär, problemorientiert, kompetenzbasiert, Lerner-zentriert
Man muss aber auch aufpassen, dass der Kampf um die Digitalisierung in der Schule nicht falsch verstanden wird. Wenn man meint, dass man als Indikator einfach die Anzahl an Tablet-Klassen oder die Anzahl interaktiver Whiteboards in den Schulen nehmen kann, um zu sagen, wie fit ein Kanton in der Digitalisierung ist, dann ist das in meinen Augen ein Trugschluss.
Ich finde und verlange, dass die Schule mit der Zeit geht und den Anspruch aufrecht erhält, fit zu machen für die Arbeitswelt, für die Gesellschaft, für die Zukunft, und das machen wir sicher mit dem Lehrplan 21. Schule hat aber einen Allgemeinbildungsauftrag. Der muss breit sein, gerade in der Volksschule. Alle Bereiche sind wichtig.
Wenn Sie mich nach Schaffhausen fragen, dann ist völlig klar, dass wir den wichtigen Modullehrplan «Medien und Informatik» selbstverständlich 1:1 umsetzen. Digitalisierung findet auch in unseren Schulzimmern statt. Aber auch hier muss ich sagen, das steht und fällt mit den Lehrern. Da geht es um Haltungen.
Schauen wir noch auf die Kantonsschule. Die Kanti! So sagen wir dem Gymnasium. Sie hat einen umfassenden, humanistischen Bildungsauftrag. Sie geht von einem ganzheitlichen Menschenbild aus und fokussiert nicht allein auf einzelne Disziplinen. Sie hat grundsätzlich für die Studierfähigkeit zu sorgen und für eine umfassende Allgemeinbildung.
Zum Tertiärbereich wird ETH Präsident Lino Guzella sicherlich noch einiges sagen. Im Gegensatz zu anderen Ländern kennt die Schweiz die freie Studienwahl: Jeder Inhaber eines Schweizer Maturitätsausweises kann ein Studium seiner Wahl aufnehmen (mit Ausnahme der Medizin).
Wir haben die Freizügigkeit in der Studienwahl. Natürlich könnte man da vermehrt regulieren und filtrieren und kanalisieren. Und gar den heiss umstrittenen Numerus Clausus vermehrt ins Spiel bringen.
Nun, es ist angerichtet. Nachher, resp. nach den Folgereferaten, können Sie auf dem Schaffhauser Bildungsdirektor herumhacken und Ihre persönliche Vorstellung von guter Bildung in die Diskussion hier auf dem IVS Schiff einbringen.
Doch eine Warnung zum Abschluss: Lesen Sie gut die Packungsbeilage der Schule oder fragen Sie zuerst Ihren Arzt oder Apotheker. Denn auch diese haben eine Vorstellung, wie die Schule von heute für die Welt von morgen zu sein hat! Und dies macht es nicht einfacher!