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29.04.2016

Wir brauchen keine Einzelroboter


Interview SN

Interview mit Erziehungsdirektor Christian Amsler über die Verschärfung der Maturität

Sophie Boldig, Schaffhauser Nachrichten SN

Muss ein Musikstudent Kreiskegeln berechnen und ein Physikstudent ein Gedicht analysieren können? Ja, findet Bildungsminister Schneider-Ammann und fordert eine strengere Matur. Christian Amsler ist skeptisch.

Was denken Sie über die Verschärfung der Matura in den Kernfächern Mathematik und der Erstsprache?

Christian Amsler: Zuerst muss ich ­sagen, dass ich es begrüsse, dass der nationale Bildungsminister mitdiskutiert. Die Grundaussage ist sicherlich diskussionswürdig und auch prüfenswert. Im Detail habe ich da aber schon gewisse Vorbehalte.

In welcher Hinsicht?

Amsler: Die Matura hat eine relativ breite Allgemeinbildung abzudecken. Die Studierfähigkeit in verschiedensten Disziplinen ist also ein klares Ziel. Dass man sich nur auf zwei Teildisziplinen fokussiert und ausschliesslich dort einen Schwerpunkt setzt, empfinde ich daher nur bedingt geschickt. Mit der Aussage allein kann ich daher nicht viel anfangen.

Die zwei Hauptfächer sollen nicht mehr mit guten Noten in Musik oder Sport kompensiert werden dürfen. ­Finden Sie das einen fairen Ansatz?

Amsler: Der Kritikpunkt von Johann Schneider-Ammann ist ja, dass Maturanden zu leicht kompensieren können. Ich finde es wichtig, dass man den herangehenden Studenten zeigt, dass sie in jedes Fach investieren müssen. Und ­dabei nicht in einem Bereich nach­lassen, nur weil diese schlechte Note ­sowieso kompensiert werden kann. Das Gymnasium hat klar den Anspruch auf eine breite humanistische Bildung, die alle Disziplinen umfasst. Diese Breite empfinde ich als sehr wichtig, sie sollte auch nicht ohne Grund aufgegeben werden. Wir brauchen keine Einzelroboter nur in einem Bereich, plakativ gesagt. Der Ansatz von Bundesrat Schneider-Ammann ist schon richtig, aber ich möchte dagegen ankämpfen, dass man zu stark allein auf zwei Bereiche fokussiert.

Wieso?

Amsler: Es ist sofort eine Wertung da. Man sagt ganz eingeschränkt, dass die zwei Fächer Deutsch und Mathematik die wichtigsten sind. Beides sind Kernfächer, ja, aber es muss auch für Schüler gewährleistet sein, eine Universität besuchen zu dürfen, die in anderen Bereichen stark sind. Nur weil jemand beispielsweise in Mathematik schwach ist, wäre es unfair, diesen Schüler vom Studium auszuschliessen. Die alleinige Fokussierung auf diese zwei Fächer finde ich daher nicht die richtige Richtung.

Was wäre dann die richtige Richtung?

Amsler: Dass Schüler, die in bestimmten Bereichen Mühe haben, speziell ­gefördert werden. Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte, beispielsweise den klassischen Nachhilfeunterricht. Die jungen Leute müssen aber wie gesagt auch selber investieren. In der schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) laufen zudem auch Teilprojekte unter dem Namen «Gymnasiale Maturität: Langfristige Sicherung des prüfungsfreien Hochschulzugangs», mit denen wir den richtigen Weg anpeilen.

Welche Ziele haben diese Teilprojekte?

Amsler: Durch Studien und Laufbahnberatung, durch Verbesserung der Kommunikation zwischen der Gymnasial- und der Hochschulwelt und durch definierte basale fachliche Studienkompetenzen sollen die häufigen Studienabbrüche und -wechsel eingedämmt werden. Wenn man nämlich die jungen Schulabgänger während des Gymnasiums besser vorbereiten und unterstützen würde, wäre es eher gewährleistet, dass die Maturanden für den gewählten Studiengang auch wirklich geeignet und bei ihrer Studienwahl sicherer sind.

Fühlen sich Kantischüler in diesem Thema alleingelassen?

Amsler: Das höre ich immer wieder, und genau hier könnte man mehr tun. Denn es gibt viele junge Leute, die noch nicht genau wissen, was sie studieren wollen. Eine gute Unterstützung und Beratung der angehenden Studenten halte ich für wichtig und sinnvoll.

Weshalb fordert Schneider-Ammann eine Verschärfung, wenn die EDK ja bereits Verbesserung in diesen Bereichen anstrebt?

Amsler: Vielleicht liegt es daran, dass im Ausland, vor allem in Asien, Ausnahmetalente im Wirtschafts- und Forschungsgebiet besonders gefördert ­werden. Wir müssen aber auch Sorge tragen, dass hier zum Beispiel Mathe­genies nicht zu kurz kommen und die Schweiz in diesen Bereichen nicht ­zurückfällt.

Schneider-Ammann will lieber ­weniger, dafür gute Maturanden. Wie stehen Sie dazu?

Amsler: Nicht zu viele finde ich schon auch richtig. Gute und ein hohes Niveau ebenfalls. In der Romandie ist die Maturitätsquote beispielsweise viel höher als bei uns in Schaffhausen. Dazu muss man aber auch sagen, dass dort das Maturitätsniveau tiefer ist.

Wie sieht es hier in Schaffhausen aus?

Amsler: So, wie wir in Schaffhausen unterwegs sind, ist es sehr gut! Die ­Maturitätsquote liegt hier bei etwa 15  Prozent. Von der ETH und den Unis bekommen wir immer hervorragende Rückmeldungen, dass wir ein sehr ­hohes Niveau an unserer Kantonsschule haben. Aber auch schweizweit, mit dem Ausland verglichen, haben wir wirklich gut ausgebildete Maturanden, davon bin ich überzeugt. Von daher finde ich nicht, dass wir künstlich unsere Maturitätsquote runterschrauben müssen. Wir sind gut aufgestellt, dies gilt es zu bewahren!

«Nur weil jemand beispielsweise  in Mathematik schwach ist, wäre es  unfair, diesen Schüler vom Studium auszuschliessen.» Christian Amsler Vorsteher Erziehungsdepartement Schaffhausen

Strengere Matur / Worum es geht

Hochschulen klagen Zu viele Maturanden erreichen in der Erstsprache und in Mathematik kein angemessenes Hochschulniveau.

Das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) will die Maturitätsprüfungen schweizweit harmonisieren, und es soll schwieriger werden, ungenügende Mathe- und Deutsch­noten mit guten Leistungen in anderen Fächern zu kompensieren.

Vorgehen WBF und Erziehungs­direktorenkonferenz wollen die Forderungen zur Verschärfung der Maturität überprüfen.