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Wirtschaft will Lehrplan 21
Schulreformen
Die Wirtschaft will den Lehrplan 21
Der Lehrplan 21 kommt in den ersten Kantonen vors Volk. Bisher waren vor allem die Gegner zu hören, nun werden die Befürworter aktiv – und holen die Wirtschaft an Bord.
* NZZ, von Erich Aschwanden / Daniel Gerny
2016 wird sich zeigen, welche Breitenwirkung der Widerstand gegen das Reformprojekt hat. (Bild: Jean-Christophe Bott / Keystone)
Die Landsgemeinde im Kanton Appenzell Innerrhoden ist jeweils ein regionales Highlight, doch in diesem Jahr blickt die gesamte schweizerische Bildungslandschaft gespannt nach Appenzell: Dort entscheiden die Stimmberechtigten am 24. April über eine Einzelinitiative unter dem Titel «Für eine starke Volksschule». Das Begehren verlangt, dass künftig das Kantonsparlament und via fakultatives Referendum gar das Volk und nicht bloss die Landesschulkommission über die Lehrpläne entscheidet. Es ist der erste Volksentscheid dieser Art im Land. Der Initiant will mit diesem Vorgehen erklärtermassen die Einführung des Lehrplans 21 verhindern. Wie die Landsgemeinde entscheidet, ist offen.
Volksabstimmung im Baselbiet
Vielerorts versuchen die Gegnerinnen und Gegner, den Entscheid über den Lehrplan 21 durch eine solche Kompetenzverlagerung auf die politische Ebene zu hieven – und das Projekt so zu verhindern. Bereits im Juni folgt die nächste Bewährungsprobe vor dem Volk – dieses Mal an der Urne. Der Kanton Basel-Landschaft entscheidet ebenfalls über eine Initiative, die die Genehmigung der Lehrpläne von einem Fachgremium auf das Kantonsparlament übertragen will. Klar ist, dass die Einführung des umstrittenen Lehrplans auf der Baselbieter Sekundarstufe mehr als schwierig wird, wenn die Initiative angenommen wird. Die Opposition ist inzwischen so breit abgestützt, dass allgemein mit einer Zustimmung zur entsprechenden Initiative gerechnet wird. Ähnliche Volksbegehren sind in zahlreichen anderen Kantonen unterwegs (vgl. Karte).
Doch wird dadurch das Reformprojekt ernsthaft gefährdet? Ist der Widerstand im Baselbiet, wo die Diskussionen über den Lehrplan begannen, genügend stark, um einen Dominoeffekt in der ganzen Schweiz auszulösen? Die Gegner hoffen darauf: Der grüne Bildungspolitiker Jürg Wiedemann, der sich wegen Bildungsfragen mit seiner Partei zerstritten hat, stellt fest, dass der Lehrplan längst nicht mehr nur von konservativen Gruppierungen abgelehnt werde. Das Baselbiet sei in Bildungsfragen schon früher Vorreiter gewesen. Spreche sich das Volk für die Initiative aus, müsse dies als Ausdruck eines breiten Unbehagens auch mit Blick auf andere Kantone gewertet werden.
Diffuses Unbehagen
«Diese Volksabstimmungen werden kein Spaziergang», erklärt vor diesem Hintergrund der Schaffhauser Erziehungsdirektor Christian Amsler, der die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz (D-EDK) präsidiert. Dort ist man sich der Wichtigkeit der anstehenden Volksentscheide inzwischen sehr wohl bewusst, nachdem der Widerstand zuerst lange eher unterschätzt worden war. Sorge bereitet den Bildungsdirektoren vor allem ein diffuses Unbehagen breiter Bevölkerungskreise gegenüber Schulreformen. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Stimmbürger gar nicht wirklich mit dem Lehrplan 21 auseinandersetzten, sondern die Debatte darüber zum Anlass für generelle Unmutsbezeugungen nähmen.
Wirtschaft will Selbständigkeit
Anzeichen dafür gibt es: Aus einer anfänglich vorwiegend konservativ oder eher rechtsbürgerlich geprägten Skepsisist eine unübersichtliche und durchmischte Allianz geworden. Im Dezember sorgte beispielsweise der Bieler Lehrer Alain Pichard mit einer Streitschrift mit dem Titel «Einspruch!» für Nervosität. Darin äusserten sich linke Politiker, Bildungswissenschafter und Kulturschaffende kritisch zum Projekt. Die unterschiedlichen Motive sowie die Heterogenität der Gegnerschaft führen dazu, dass die ohnehin schon komplexe Diskussion schwer fassbar und inhaltlich teilweise diffus wird.
Inzwischen werden auch die Befürworter aktiv: Die D-EDK erarbeitet derzeit für die Kantone ein Argumentarium, das der Kritik von rechts und links Contra bieten soll. «Ausserdem sind wir daran, wichtige Player an Bord zu holen, die uns in den anstehenden Abstimmungskämpfen unterstützen. Dazu gehören die Wirtschaft, das Gewerbe und die Lehrerschaft», erklärt Amsler.
Interessanterweise bezeichnet Ivo Zimmermann vom Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) die Kompetenzorientierung als zentral für die Wirtschaft – und verteidigt damit just das umstrittenste Element der Reform (vgl. Kasten). «Die Kompetenzorientierung, sprich, sich die Fähigkeit zu erarbeiten, Probleme zu lösen, ermöglicht einen nahtlosen Übergang von der Sekundarstufe in die Berufslehre», davon ist Zimmermann überzeugt.
Parlamente für Lehrplan
Swissmem will in erster Linie seinen Mitgliederfirmen die Bedeutung und Relevanz des Lehrplans 21 klarmachen. Sie sollen anschliessend in den Kantonen ihren Beitrag leisten, dass das Reformprojekt wie geplant in der ganzen Deutschschweiz eingeführt werden kann. Der Schweizerische Gewerbeverband hat die kantonalen Gewerbeverbände über die Vorlage informiert und empfohlen, diese auf kantonaler Ebene zu unterstützen. Auch Economiesuisse hält die Einführung des Lehrplans für vordringlich: «Bildung muss zu einer selbständigen Lebensweise befähigen», erklärt Stefan Vannoni von Economiesuisse. Der Lehrplan 21 bringt in dieser Hinsicht zahlreiche Vorteile. Vannoni betont dabei aber, dass der Verband die kantonale Bildungshoheit respektiere.
Dafür, dass die Bildungsdirektoren mit ihren Argumenten durchdringen, sprechen die bisherigen Entscheide in den kantonalen Parlamenten. Die Gegner des Lehrplans sind auch auf dieser Ebene äusserst aktiv – bisher allerdings praktisch ohne Erfolg: Mit Ausnahme des Landrates im Kanton Baselland haben bisher alle Parlamente Vorstösse für eine Verschiebung der Einführung des neuen Lehrplans oder zur Verlagerung der Entscheidbefugnis an politische Instanzen klar abgelehnt. Die Volksentscheide zum Lehrplan im Verlaufe dieses Jahres – sie werden deshalb für das Reformprojekt zu entscheidenden Examen.