Aktuelles / Notizen
Wochengespräch zu Bildungsfragen
Interview von Romina Loliva, Schaffhauser az 14. Januar 2016
Christian Amsler, will sich der Kanton Schaffhausen keine gute Schule leisten?
Doch. Wir haben ein hervorragendes Bildungssystem und können im interkantonalen Vergleich gut mithalten. Aber die Herausforderungen nehmen langsam eine neue Dimension an. In den letzten Jahrzehnten war die Bildung quasi eine heilige Kuh – im positiven Sinn – heute wird sie, in Anbetracht der ausserordentlich schwierigen Finanzlage vieler Kantone, kontroverser diskutiert. Sie wissen, Bildungsausgaben machen rund einen Viertel des Staatsbudgets aus.
Bildung ist aber auch eine der wichtigsten Aufgaben des Staates.
Ja, das ist so. Man nennt sie auch zu Recht unsere „einzige Ressource" und wir müssen der Bildung Sorge tragen, natürlich. Aber die Regierung ist der Meinung, dass man auch in diesem Bereich einen massvollen Schritt zurück machen kann, da eher in den letzten Jahren ausgebaut wurde. Das ist nicht einfach, wir kommen aber nicht drum herum einen Sparbeitrag zu leisten.
Mit dem Lektionenabbau in der Volksschule landet Schaffhausen aber unter dem Schweizer Durchschnitt, das gibt die Regierung ja zu. Ist das vertretbar?
Es gibt kaum Alternativen. Das Erziehungsdepartement muss rund zehn Millionen Franken zum Sparprogramm beitragen. Da wir ganz sicher nicht über Einsparungen bei den Löhnen der Lehrpersonen oder über Gebühren diese Summe erreichen wollen, bleibt uns nur der Leistungsabbau oder die sanfte Steuerung über die Klassengrösse. Die Regierung ist der Meinung, dass diese Kürzung verkraftbar ist.
Weniger Lektionen bedeuten schlussendlich weniger Inhalt, weniger Unterricht, weniger Zeit zum Lernen. Ist das mit einer minimal tieferen Steuerrechnung aufzuwiegen?
Die Gegenüberstellung ist immer schwierig und könnte mit jeder Staatsaufgabe gemacht werden. Klar, man könnte grundsätzlich sagen, bei der Bildung spart der Kanton nicht. Aber dann muss man gar nicht anfangen nach möglichen Einsparungen zu suchen. Wir haben uns bemüht eine Mischrechnung zu machen.
Angenommen dem Kanton geht es irgendwann finanziell besser, würden Sie den Abbau rückgängig machen?
Das muss man situativ entscheiden. Wir werden die Auswirkungen des Lektionenabbaus beobachten. Was im Übrigen eine Aufgabe des Erziehungsrates ist. Das vergessen die Damen und Herren Kantonsräte manchmal. Denkbar wäre die Aufstockung schon. Mir ist auch bewusst, dass Forderungen in diese Richtung im Raum stehen und berechtigt sind. Eine zusätzliche Klassenlehrerstunde beispielsweise. Die Regierung hatte diese Vorlage vorbereitet, wir wurden aber vom Entlastungsprogramm überholt. Ob es legitim ist, bei den Lektionen zu sparen ist schlussendlich eine politische Frage.
Eine, die mit der „Volksschulinitiative" an der Urne beantwortet wird. Welches Resultat erwarten Sie?
Ich bin sehr gespannt. Die Regierung lehnt aufgrund des Entlastungsprogramms die Initiative ab.
Die Umsetzung des Lektionenabbaus müssen dann die Lehrpersonen vollziehen. Das verlangt eine grosse Flexibilität.
Ja. Unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten sehr viel und ich bin der Meinung, dass die Kürzungen sie nicht bestrafen sollen. Den gleichen Stoff in weniger Zeit zu vermitteln, geht nicht. Gewisse Dinge kann man einfach nicht mehr machen. Das ist logischerweise eine Herausforderung. Wie jede Umstellung im Bildungssystem.
Was meinen Sie konkret damit?
Ursprünglich hätten wir die zusätzliche Klassenlehrerstunde kostenneutral mit der Anpassung der Klassengrössen umsetzen wollen. Dann ist uns aber das Entlastungsprogramm in die Quere gekommen. Was bei den Klassengrössen gespart wird, fliesst in die Entlastung und kann nicht mehr für andere Projekte verwendet werden. Gleichzeitig müssen wir bald den „Lehrplan 21" implementieren. Sie sehen, alles hängt zusammen.
Das heisst, im Bildungsbereich kann gar nicht gespart werden.
Diese These haben Sie aufgestellt. Ich kann sie aufgrund des strukturellen Defizits des Kantons nicht unterschreiben, aber gebe Ihnen soweit Recht, es ist anspruchsvoll.
Mit dem Projekt „Volksschule aus einer Hand" möchten Sie eine weitere einschneidende Veränderung im Schulsystem vorantreiben. Ist es realistisch, dass die Schaffhauser Gemeinden die Schulhoheit an den Kanton abgeben?
Es ist ein gewagtes, aber absolut sinnmachendes Vorhaben. Die jetzige Situation – fast jede Gemeinde hat eine eigene Schule, die Verwaltung liegt bei der Schulbehörde – ist schön, mein Pädagogen-Herz freut sich darüber, aber sie ist teuer. In der Realschule haben wir im Schnitt 14.4 Schüler pro Klasse, das ist sehr tief. Diese Struktur hat Optimierungspotential und ich bin überzeugt, dass es machbar ist.
In der Realität scheitern bereits einzelne Gemeinden an der Zusammenarbeit. Im unteren Klettgau kommt nicht mal ein gemeinsames Schulhaus zustande.
Das ist der Preis unseres föderalen und kommunalen Systems. Der sanfte Druck des Kantons könnte hier helfen. Es gibt auch Gemeinden, die sehr erfolgreich ihre Schulen zusammenlegen, im Randental oder im Reiat zum Beispiel.
Das Thema „geleitete Schulen" ist ähnlich verstrickt.
Ich bin zuversichtlich, dass der nun vorliegende Vorschlag angenommen wird. Der freiwillige Charakter bleibt erhalten und wir schaffen die gesetzliche Grundlage für die Anstellung von Schulleiterinnen und Schulleiter, allerdings ohne finanzielle Beteiligung des Kantons, weil dazu die gesetzliche Grundlage fehlt.
Warum hat es Schaffhausen bisher nicht geschafft geleitete Schulen flächendeckend einzuführen?
Unser Kanton tickt etwas anders...
...hinterwäldlerisch?
Nein. Aber etwas langsam. Das kann auch positiv sein, weil die Akzeptanz mit der Zeit grösser wird.
Bleiben wir beim Rückwärtsgewandtem. Die Einführung des „Lehrplan 21" wird mit einer Volksinitiative bekämpft. Der Lehrplan soll vors Volk. Wie sinnvoll ist das?
Davon halte ich gar nichts. Ein Lehrplan ist eine komplexe Angelegenheit, die sorgfältig und breit abgestützt entwickelt und vom Erziehungsrat abgesegnet wird. Die politische Einflussnahme ist also gegeben. Wenn das Stimmvolk darüber befinden soll, wird es nur ja oder nein sagen können, was die Schule in ihrer gesamten Entwicklung nicht weiter bringt.
Wie gehen sie in den Abstimmungskampf?
Ich bin gelassen, scheue aber nicht den Fight. Das Engagement ist notwendig, weil die Gegner ein Sammelsurium an saloppen Argumenten präsentieren und Ängste schüren, die wenig mit der Schule zu tun haben. Der „Lehrplan 21" enthält nichts, was nicht heute schon unterrichtet wird. 21 Kantone haben gemeinsam und mit Lehrpersonen und Bildungsexperten zusammen eine differenzierte und ausgewogene Vorlage geschaffen. Das werden wir der Schaffhauser Bevölkerung aufzeigen.
Was konservative Kräfte ebenfalls fürchten, sind Tagesschulen. Dazu gibt es in Schaffhausen zwei konkurrierende Vorlagen, eine der Regierung und die Initiative „7to7". Worin liegt der Unterschied?
Schulergänzende Tagesstrukturen haben für mich grosse Priorität. Ich stecke sehr viel Herzblut da rein. Ich teile das Grundanliegen der „7to7"-Initiative, das Finanzierungsmodell, das die Initianten vorschlagen geht aber zu weit. Der Vorschlag der Regierung – eine Mischfinanzierung von Staat und Erziehungsberechtigten – ist meiner Ansicht nach, zielführender und hat grössere Chancen.
Warum?
Weil die vollstaatliche Finanzierung Ungerechtigkeiten schafft. Wer seine Kinder nicht in die Tagesschule schickt, zahlt trotzdem für das Angebot, das ist unfair und wird nicht akzeptiert werden.
Würde es aus pädagogischer Sicht nicht Sinn machen, wenn alle Kinder in Tagesstrukturen unterrichtet werden würden?
Sie fragen wieder mein Pädagogen-Herz. Und das sagt, dass wir das beste Angebot für unsere Kinder und Jugendlichen ermöglichen müssen. Tagesschulen haben auch eine Funktion, die Probleme der Isolierung, Verwahrlosung und sozialer Segregation lösen könnte. Aber die staatliche Verordnung macht keinen Sinn, die Freiwilligkeit muss in jedem Fall gewährt sein. Wir müssen die Bevölkerung vor allem für den enormen Mehrwert für die Wirtschaft im Kontext der Demografie und des Fachkräftemangels sensibilisieren und nichts erzwingen.